Klassentreffen
»Aber warum sagen Sie ›endlich‹? Olaf wird doch schon öfter Freundinnen gehabt haben, oder?«
Frau van Oirschot wiegt den sorgfältig frisierten Kopf. »Olaf tut sich mit Frauen ein bisschen schwer, er ist ziemlich kritisch.«
»Bei den Damen im Büro ist er aber sehr beliebt.«
Frau van Oirschot lächelt. »Daraus macht er sich offenbar nicht viel. Ich versuche hin und wieder, ihn ein wenig über seine Damenbekanntschaften auszuhorchen – aus mütterlicher Neugier, Sie verstehen -, und was ich dann zu hören bekomme, macht mir wenig Hoffnung auf eine Schwiegertochter. Die eine ist zu geziert, die andere will zu hoch hinaus, die dritte ist sich ihrer Schönheit allzu sehr bewusst und so weiter und so fort. Vor ein paar Monaten hat er noch zu mir gesagt: ›Mutti, es gibt anscheinend keine Mädchen mehr, die einfach nur sie selbst sind. Sie denken ständig ans Flirten und sind zu keiner normalen Unterhaltung mehr fähig. Es geht ihnen nur noch ums Erobern, und nach ein paar Wochen ist es mit
ihrem Interesse aus und vorbei.‹ Olaf kommt damit nicht gut zurecht. Er ist ein ernsthafter, lieber Junge. Kein Windhund.«
»Aber er hat doch vor mir bestimmt mal Freundinnen gehabt«, bohre ich nach.
»Ja sicher, aber ich habe leider keines dieser Mädchen kennen gelernt. Es war immer schnell wieder aus. Das hat ihn jedes Mal schwer enttäuscht.«
»Wissen Sie denn, wer die Freundinnen waren? Vielleicht kenne ich ja eine davon.«
»Ach, liebes Kind, das kann ich nun wirklich nicht sagen. Wie schon erwähnt, ich bin den Mädchen nie begegnet, bis auf eine: Eline Haverkamp. Ein nettes, intelligentes Mädchen. Schade, dass es mit ihr nicht gehalten hat. Wenn Sie mich jetzt bitte einen Moment entschuldigen wollen, ich sehe nach, ob der Kaffee fertig ist.« Anmutig steht sie auf und geht aus dem Zimmer.
Ich schreibe den Namen in mein Notizbuch: Eline Haverkamp.
»Ich glaube, ich kenne Eline«, lüge ich, als Frau van Oirschot mit einem Tablett wiederkommt. »Wohnt sie nicht in Amsterdam?«
Sie überlegt, und zwischen ihren Augenbrauen bildet sich eine leichte Falte.
»Nein, ich glaube, sie wohnt in Den Helder«, sagt sie. »Die beiden haben zwar in Amsterdam zusammen studiert, aber jetzt wohnt sie wieder hier. Aber sagen Sie, mein Kind, wie haben Sie sich eigentlich kennen gelernt?«
Graziös gießt sie Kaffee ein und hält mir eine Schale mit duftenden Bittermandel-Makronen hin. Ich nehme eine und denke dabei an Herrn Groesbeeks Pralinen.
»Bei der BANK«, sage ich. »Aber witzigerweise kennen wir uns schon viel länger. Olaf war früher mit meinem Bruder Robin befreundet.«
»Robin Kroese! Natürlich, daher kenne ich den Namen. Robin habe ich sehr gut gekannt. Und Sie sind also seine Schwester! So ein Zufall!« Mit strahlendem Lächeln greift sie zur Zuckerzange und lässt einen Würfel Zucker in ihren Kaffee fallen. »Nehmen Sie auch Zucker, Sabine? Nein? Sehr vernünftig. Süßes schadet der Linie. Nicht dass Sie sich deswegen Sorgen machen müssten; Sie sind so schön schlank.«
»Sie auch«, sage ich spontan. »Sie sehen überhaupt blendend aus, Frau van Oirschot. Ganz anders, als ich mir das vorgestellt hatte.«
»Ach? Was hatten Sie sich denn vorgestellt?«
Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt.
»Na ja, ich meine … Olaf drückt sich manchmal ein bisschen derb aus … Ganz anders als Sie.«
Ohne aufzusehen, rührt Frau van Oirschot ihren Kaffee um.
»Ich weiß, was Sie meinen«, sagt sie. »Ja, so ist Olaf nun mal. Das hat er von seinem Vater, der hatte auch ein bisschen was Bäuerliches an sich. Aber im Grunde ist er ein lieber Junge. Er besucht mich jeden Samstag.« Überrascht blickt sie auf. »Warum seid ihr denn nicht zusammen gekommen?«
»Wie bitte?«
»Olaf kommt jeden Samstag zum Mittagessen. Um zwölf wollte er hier sein.«
Der Schluck Kaffee gefriert mir im Mund. Schnell werfe ich einen Blick auf die Uhr an der Wand gegenüber. Halb zwölf. Hastig trinke ich meine Tasse leer. Ich hatte mich vorsichtig an das Thema herantasten wollen, aber dafür bleibt mir jetzt keine Zeit mehr.
»Frau van Oirschot, erinnern Sie sich noch an Isabel Hartman?«
»Ja natürlich erinnere ich mich an sie.«
»Ich war in der gleichen Klasse wie Isabel.«
»Das weiß ich«, sagt sie schlicht.
Ich bin überrascht. Und zwar so sehr, dass ich nicht weiter weiß. Im Grunde genommen weiß ich überhaupt nicht, was mir dieses Gespräch bringen soll. Informationen. Antworten. Aber dazu muss man
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