Klassentreffen
bekanntlich die richtigen Fragen stellen. Nach einem weiteren hektischen Blick auf die Uhr rede ich weiter.
»Olaf war sehr verliebt in Isabel, nicht wahr?«, sage ich.
»Viele Jungs fühlten sich zu diesem Mädchen hingezogen. Ich persönlich mochte sie nicht; sie hat mit den Gefühlen der anderen gespielt. Erst hat sie die Jungs angemacht und dann fallen lassen – das war so ihre Art. Ich habe Olaf vor ihr gewarnt, aber er war blind vor Verliebtheit. Sie sind denn auch ziemlich lange miteinander gegangen, bis zu dem Tag, an dem sie verschwunden ist. Olaf war danach völlig am Ende und wochenlang kaum ansprechbar.«
»Aber er ist doch von der Polizei verhört worden, oder?«
»Ja sicher, aber er konnte nichts dazu sagen. Er hatte Isabel an jenem Tag überhaupt nicht gesehen.«
»Nein? Und ich dachte, sie wären am Nachmittag verabredet gewesen.«
»Olaf musste eine Prüfung schreiben, und als er damit fertig war, kam er direkt nach Hause. Das habe ich damals auch der Polizei gesagt.«
»Er ist also nicht zu der Verabredung mit Isabel gegangen.«
»Nein. Er ist sofort nach Hause gekommen.« Frau van Oirschot setzt sich kerzengerade hin. Mit der Haltung ändert sich auch die Ausstrahlung: Sie hat jetzt etwas Kühles an sich, das mir nicht gefällt. Sie mustert mich wie ein Raubtier, das nach einer Schwachstelle seiner Beute sucht. Unbehaglich rutsche ich auf dem Sessel hin und her, werfe noch einen verstohlenen Blick auf die Uhr und ringe mir ein Lächeln ab.
»Es war sehr gemütlich bei Ihnen, Frau van Oirschot, aber jetzt muss ich gehen. Danke für den Kaffee.«
»Bleiben Sie sitzen.« Ihre Stimme ist eiskalt, und ich sehe jetzt auch, woher Olaf diesen kalten Blick hat.
Sie beugt sich vor, auf genau die gleiche Art wie Olaf, und sagt: »Sie sind nicht wegen der Gemütlichkeit gekommen, nicht wahr?«
Ich antworte nicht, greife nach meiner Tasche und ignoriere ihre Aufforderung, sitzen zu blieben. »Ich muss jetzt wirklich los. Auf Wiedersehen.«
Es ist zehn vor zwölf.
»Sabine!«, sagt Frau van Oirschot hinter mir.
Widerwillig bleibe ich stehen. Sie kommt mir nach, aber ich habe keine Angst vor ihr. Diese zierliche Dame wird mich nicht aufhalten.
Ob sie registriert, dass ich sie auch anders ansehe? Sie bleibt jedenfalls stehen, verschränkt die Hände und sagt nichts. Die Stille lastet schwer im Raum. Als Frau van Oirschot endlich den Mund aufmacht, überrascht mich ihre Frage.
»Sind Sie wirklich Olafs Freundin?«
»Das war ich.«
»Und weiß er das bereits?«
Nach kurzem Zögern schüttle ich den Kopf.
Sie nickt resigniert. »Genau das hatte ich befürchtet.«
»Befürchtet? Wieso denn?«
»Wie ich bereits sagte, fällt es Olaf schwer, eine Freundin länger an sich zu binden. Warum das so ist, weiß ich nicht. Eline konnte es mir auch nicht erklären. Sie vielleicht?«
Zwölf Schläge hallen durch die Wohnung.
»Tut mir wirklich Leid, aber ich muss los.« Ich drehe mich um und laufe durch den Flur zur Wohnungstür. Die Kette ist vorgelegt. Ich zerre daran herum, bis sie aufgeht, und reiße die Tür auf. Jeden Moment erwarte ich, eine Hand auf meinem
Arm zu spüren, aber dann stehe ich glücklich auf der Straße, und die Sonne scheint mir ins Gesicht.
Am Ende der Straße ist ein lautes Motorengeräusch zu hören. Ich muss zwar in diese Richtung, laufe aber nach rechts … Egal, ob Frau van Oirschot mir nachschaut oder nicht – ich fange an zu rennen. Das Auto kommt näher und hält vor dem Haus, das ich gerade eben fluchtartig verlassen habe.
Ich werfe einen Blick über die Schulter: ein schwarzer Peugeot. Die Autotüren bleiben zu, keiner steigt aus. Hastig biege ich um die Ecke und erwarte, gleich meinen Namen zu hören. Aber hinter mir bleibt alles still. Sicherheitshalber gehe ich durch ein paar Seitenstraßen, haste weiter durch eine Gasse und komme, an einen Bretterzaun gelehnt, wieder zu Atem.
Als ich mich einigermaßen gefasst habe, mache ich mich auf die Suche nach meinem Auto, was eine ganze Menge Zeit kostet.
Ich steige rasch ein und verriegle sämtliche Türen.
Dann hole ich mein Handy hervor und checke die Voicemail. Sechs neue Nachrichten. Ich höre sie nicht ab, sondern lasse den Motor an und fahre geradewegs zur Post.
KAPITEL 32
Haverkamp. Im Telefonbuch gibt es eine ganze Spalte mit Haverkamps. Noch in der Post will ich die ganzen Nummern durchtelefonieren, aber schon bei der dritten habe ich Glück.
»Eline Haverkamp«, sagt eine klare junge
Weitere Kostenlose Bücher