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Klassenziel (German Edition)

Klassenziel (German Edition)

Titel: Klassenziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. A. Wegberg
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einzige wäre und dass man seine gesamte Freizeit damit zubringen könnte, sich darin zu verbessern. Na ja, ich geb’s zu, ich bin ein bisschen angeschlagen und wehleidig.

    E s kam jetzt öfter vor, dass mein Vater nachts nicht nach Hause kam, alle zwei Wochen ungefähr. Meistens stellte ich mir vor, dass er eine Geliebte hatte, zu der er ging. Ich ging im Geiste alle Frauen durch, die für diese Position in Frage kommen könnten. Seine neue Kollegin aus Kaiserslautern. Mamas alleinstehende Freundin Andrea. Die Nachbarin von schräg gegenüber, deren Mann nur am Wochenende zu Hause war. Die Gymnastiklehrerin aus dem Sportcenter, wo er Badminton spielte. Ich fand jede Option gleich abstoßend.
    Dann stellte ich mir vor, dass er in kriminelle Geschäfte verwickelt war und sich nachts mit Gangstern traf, die ihn mit Schusswaffen bedrohten und ihm Ultimaten stellten. Ich überlegte auch, ob wir vielleicht hoch verschuldet waren und er noch einen Nebenjob als Nachtwächter angenommen hatte, um uns über die Runden zu bringen. Oder vielleicht litt er an einer unheilbaren Krankheit und fuhr die ganze Nacht ziellos mit dem Auto durch die Gegend, weil der Gedanke an den nahen Tod ihn nicht schlafen ließ.
    Diese ganzen Phantasien machten meine Angst nicht kleiner – eher im Gegenteil. Aber eine harmlose Erklärung für seine Auswärtsübernachtungen fiel mir nicht ein. Irgendwann war ich so verzweifelt, dass ich Nick doch darauf ansprach. Ich kam einfach nicht mehr alleine klar. «Was glaubst du – wo geht Papa immer hin, wenn er nachts weg ist?»
    «Weiß ich doch nicht!», schnaubte Nick gereizt. «Frag ihn doch selbst!»
    Das war wahrscheinlich gar kein so schlechter Rat. Aber ich traute mich nicht.

[zur Inhaltsübersicht]
    22
    D ie nächste Runde Unterricht wird erträglicher. Wir haben eine Doppelstunde Deutsch bei einem Herrn Wiesner, der ist noch ganz jung, hat lange Haare und trägt ein Linkin-Park-T-Shirt. Er gibt mir sein Exemplar des Lektürebands und erlaubt mir, dass ich die ganze Unterrichtsstunde darin lese. Die anderen sind schon bei Kapitel fünf und machen jetzt die üblichen Zusammenfassungen und Analysen, aber ich brauche mich daran nicht zu beteiligen, sondern kann in Ruhe meinen Rückstand aufholen. So gefällt mir das.
    Das Buch ist ganz gut geschrieben, aber je länger ich darin lese, desto dicker wird der Kloß in meinem Hals. Es geht um einen Schüler, der in seiner Klasse gemobbt wird und sich in so eine Art Scheinwelt mit Online-Rollenspielen zurückzieht. Irgendwie hab ich die böse Ahnung, dass er am Schluss zum Amokläufer wird, und in meiner Vorstellung hat er Dominiks Gesichtszüge, was es mir echt schwermacht weiterzulesen.
    Deshalb lege ich öfter mal Pausen ein, um wieder ein bisschen runterzukommen und meine Mitschüler zu beobachten. Die Blonde, die mich auf den ersten Blick an Billie erinnert hat, fummelt die ganze Zeit unter der Bank mit ihrem Handy rum und schreibt SMS. Oder sie quatscht mit ihrer Nachbarin, einer dünnen, extrem gebräunten Schwarzhaarigen, die sich die Augenbrauen komplett wegrasiert und stattdessen zwei dünne Striche aufgemalt hat.
    Einmal wird Henning aufgerufen und soll eine inhaltliche Frage zu Kapitel fünf beantworten, aber offenbar gibt er eine völlig falsche Antwort. Einige fangen an zu lachen, und der Wiesner lässt einen ziemlich fiesen Spruch ab. Es gibt eine Grundregel, und die lautet: Je cooler und lässiger ein Lehrer tut, desto gefährlicher ist er. Anscheinend gilt das auch in Berlin.

    I ch kam vom Fußballtraining nach Hause und fand Dominik wie üblich am PC vor, aber diesmal vernichtete er keine Feinde, sondern hatte Word geöffnet und tippte irgendwas. Neugierig guckte ich ihm über die Schulter. Er trug seine Kopfhörer, aus denen es rhythmisch dröhnte. «Was machst’n da?», schrie ich.
    Er nahm den Kopfhörer ab. «Referat für Englisch», sagte er.
    «Und über was?»
    «Songtext von Combichrist.»
    «Über Musik? Lass mal sehen. Da bin ich Spezialist.»
    Das sollte natürlich ein Witz sein, aber Nick fand das offenbar überhaupt nicht komisch. «Klar. Wie überall», erwiderte er kalt. «Geh duschen, du stinkst.»
    Ich war verletzt und ärgerte mich gleichzeitig über mich selbst – warum hatte ich so einen blöden Spruch rausgehauen? Aber als ich nach Duschgel und Shampoo duftend und in frischen Klamotten zurückkehrte, konnte ich der Versuchung schon wieder nicht widerstehen. Diesmal ging ich allerdings ein bisschen schlauer an

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