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Klassenziel (German Edition)

Klassenziel (German Edition)

Titel: Klassenziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. A. Wegberg
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spielte am PC, aber in Gedanken war er ganz woanders, das konnte man sehen. Was ihn tatsächlich beschäftigte, verriet er mir nicht. Wenn ich nachfragte, ließ er mich gegen die Wand laufen. Und wenn ich ihm was erzählte, zeigte er genauso viel Anteilnahme wie die Yucca-Palme auf unserem Fensterbrett.
    Die Ankündigung meiner Eltern hatte ihn bestimmt nicht kaltgelassen. Immerhin war sein Leben davon ja auch betroffen. Aber ich glaube nicht, dass er mit Marek nächtelang darüber diskutierte, wie das denn so wäre ohne Vater und ob die Ehe meiner Eltern noch eine Chance hätte. Ich kannte Marek ja nicht besonders gut, aber er kam mir nicht vor wie jemand, bei dem man sich einen psychologischen Rat abholt. Vermutlich machte Dominik mal wieder alles mit sich alleine ab.
    Das musste ich jetzt ja auch. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich total allein und verloren. Vorläufig ging zwar alles wie gewohnt weiter, aber bei uns zu Hause konnte man die Spannung schon fast anfassen. Mein Vater war immer noch da. Ich hätte gerne geglaubt, dass ich alles nur geträumt hatte oder dass meine Eltern einen echt bescheuerten Scherz gemacht hatten. Aber wenn ich sie zusammen erlebte, platzte diese kindische Hoffnung ganz schnell wieder. Sie redeten kaum miteinander, und mir gegenüber hatten sie so eine künstliche, gezwungene Art, als wüssten sie nicht genau, ob ich dieselbe Sprache spreche wie sie. Oder als wäre ich geistig behindert.

[zur Inhaltsübersicht]
    27
    A uf dem Weg zur Heerstraße gehen Kenji und zwei seiner – oder ihrer? – Freundinnen ein paar Meter vor uns. Ich starre auf ihre Hinterteile in den knallengen Röhrenjeans. «Benjamin glaubt, dass Kenji ein Mädchen ist», plappert Maxi. Verdammt. Kann er nicht einfach die Klappe halten?
    «Das ist normal», sagt Finn. «Wir sind am Anfang alle auf ihn abgefahren.» Er und Justus lachen und rempeln sich gegenseitig an. Justus pfeift auf zwei Fingern und brüllt: «Kenji-Liebling! Du hast schon wieder ein Herz gebrochen!» O Mann, ist das peinlich. Ich werde rot.
    Eins der Mädchen dreht sich kurz um, aber Kenji reckt nur einen beringten Mittelfinger in die Höhe und wackelt mit dem Arsch. Justus, Finn und Maxi grölen. Ich lächle aus Solidarität, aber so richtig witzig finde ich das Ganze eigentlich gar nicht. Ich meine, falls dieses … Wesen tatsächlich Bass spielt, werd ich es noch brauchen und sollte es nicht verärgern. Und außerdem – es ist einfach wunderschön, scheiß drauf.

    I rgendwann wollte ich meinem Vater vor dem Abendessen noch schnell eine Mathearbeit zum Abzeichnen vorlegen – und da stand ich in einem ausgeräumten Arbeitszimmer. Die Wandregale waren so gut wie leer. Seine Bücher, Pläne und Dokumente, der Schreibtisch, die beiden Rollcontainer, der Computer, der Drucker – alles weg. Das war so dieser Moment, wo in manchen Filmen die Heldin ohnmächtig zu Boden sinkt. Und mir knickten auch wirklich kurz die Knie weg. Aber ich bin kein Mädchen. So viel Glück, das Bewusstsein zu verlieren, hatte ich leider nicht.
    Als ich rauskriegte, dass mein Vater nicht einfach nur aus-, sondern sogar nach Berlin ziehen wollte, war das für mich der nächste Schock. Da fühlte ich mich total verraten. Er wollte den Graben zwischen uns wohl so groß wie möglich machen! Gleichzeitig wurde der Kreis seiner potenziellen Geliebten dafür kleiner. Eigentlich blieb nur diese Gymnastiklehrerin übrig. Scheiße, wie peinlich! Sie war noch keine dreißig. Wahrscheinlich wollte sie in die Hauptstadt, um ihr langweiliges Fitnesstrainerinnenleben in eine einzige geile Party zu verwandeln, und benutzte meinen Vater nur als Sprungbrett.
    Eigentlich auch egal. Mich machte alles wütend, was mein Vater machte, weil ich nicht verstehen konnte, warum ihm sein bisheriges Leben nicht mehr gefiel. Waren wir echt so miese Söhne, dass er lieber mit einer Muskeltrulla auf Rockkonzerte ging? Hatten wir ihm seine Jugend gestohlen, und er musste die sich jetzt auf diese Weise zurückholen oder was?
    Meine Mutter machte überhaupt keinen Versuch, ihn zurückzuhalten. Warum kämpfte sie nicht um ihn? Die beiden waren seit fast zwei Jahrzehnten verheiratet – wie konnte sie jetzt einfach so zugucken, während er sich verpisste? Stattdessen half sie ihm, seine Koffer zu packen. Ich hätte kotzen können.
    Meine Eltern wirkten auf mich, als müssten sie ein Staatsgeheimnis schützen. Bloß kein Wort zu viel, bloß keine Emotionen zeigen! Ich wünschte mir, sie

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