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Klassenziel (German Edition)

Klassenziel (German Edition)

Titel: Klassenziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. A. Wegberg
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mehr sehen kann. Dann lege ich den Kopf an die Scheibe und habe zum ersten Mal seit was weiß ich wie lange das Gefühl, zu Hause zu sein.

    U we kam regelmäßig zu uns, und ziemlich bald bewegte er sich mit einer Selbstverständlichkeit in unserem Haus, als hätte er es gebaut. Ich versuchte die ganze Zeit, mich zusammenzureißen. Eigentlich tat er mir ja auch nichts. Es war bloß so, dass mich schon sein Anblick irgendwie aufregte. Und dass ich ganz sicher keine gemeinsame Zukunft mit ihm haben wollte.
    Ich versuche mal zusammenzufassen, was ich an ihm okay fand. Nur um zu beweisen, dass ich mir Mühe gab.
     
Er wusch sich immer als Erstes die Hände, wenn er reinkam.
Er gab meiner Mutter keine Zungenküsse, wenn ich dabei war.
Beim Fernsehen überließ er mir die Fernbedienung und quatschte nur selten dazwischen.
Er aß alles, was meine Mutter kochte, und lobte es meistens sogar.
    Na ja, das ist keine besonders lange Liste, und wenn ich sie mir jetzt noch mal durchlese, fällt mir auf, dass sie sich ein bisschen zynisch anhört. Dabei meinte ich es wirklich ernst. Meiner Mutter zuliebe versuchte ich, Uwe zu akzeptieren. Aber dann passierten wieder so Sachen, bei denen ich fast ausgetickt wäre.
    Zum Beispiel kam er hoch in mein Zimmer, um mich zum Essen zu holen. Ich hatte das Radio an, und es lief ein vollkommen schwachsinniger Titel von Sido. Uwe nickte rhythmisch mit dem Kopf wie ein verhaltensgestörter Truthahn und reckte den Daumen in die Höhe. «Geiles Lied, was?», sagte er euphorisch. Ich starrte ihn ausdruckslos an, worauf er verlegen den Rückzug antrat.
    Ein anderes Mal hatten wir zu dritt eine Radtour gemacht und legten auf einer schattigen Wiese eine Pause ein. Wir waren die ganze Zeit bei Gegenwind gefahren, und Uwe war sichtlich geschafft. Trotzdem zog er die mitgebrachten Badmintonschläger vom Gepäckträger. «Na, wie sieht’s aus? Machen wir Jungs ein Match?» Ich warf einen schnellen Blick zu meiner Mutter rüber, aber die hatte sich im Gras ausgestreckt und erholte sich. Vernünftigerweise. «Wenn du willst», sagte ich höflich. Nach zehn Minuten war Uwe dunkelrot im Gesicht, das Hemd klebte ihm am Körper, und er war sieben Punkte im Rückstand. Aus Mitleid brach ich die Partie ab. Er ließ sich neben meine Mutter fallen und keuchte: «Dein Sohn macht schlapp.»

[zur Inhaltsübersicht]
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    M it diesem komischen Stanzgerät, das wir im Gartenmarkt gekauft haben, bohre ich Löcher in den Rasen. Mein Vater legt in jedes eine Blumenzwiebel rein und drückt die Erde darüber fest. «Was habt ihr denn so gemacht?», will er wissen. Ich erzähle ihm von der Torte und dem Bubble Tea. Er lässt sich erklären, woraus die Poppings gemacht werden und welche Geschmacksrichtungen es gibt. «Erzähl doch mal von den Mädchen», sagt er dann. Ich weiß, dass er fast platzt vor Neugier. Also bohre ich schweigend weitere Löcher.
    Er sieht mein Grinsen. «Na gut», sagt er, lässt die Blumenzwiebeln fallen und macht einen schnellen Satz auf mich zu. Er umklammert mich von hinten mit beiden Armen, sodass ich in seinem Griff eingeklemmt bin. «Dann schüttel ich es eben aus dir raus.» Tatsächlich schafft er es, mich ein bisschen anzuheben und zu schütteln, während ich lache und strample und mich zu befreien versuche. Ich entkomme, er jagt mich durch den Garten, holt mich wieder ein und wirft mich zu Boden. Wir rollen uns lachend durch das Gras.

    I ch hatte mich geirrt, was Uwes Beruf anging. Er war gar kein Versicherungsvertreter, sondern Arzt. Genauer gesagt: Chirurg. (Das erklärt vielleicht auch seine Auffassung von Hygiene.) Er war geschieden. Kinder gab es keine. Anscheinend hatte seine Exfrau einen echt gerissenen Anwalt, jedenfalls wohnte sie jetzt in der schicken Villa in Viersen-Bockert und lackierte sich die Nägel, während er vierzehn Stunden am Tag Fett absaugte und zu seiner Mutter in ihre Dreizimmerwohnung gezogen war.
    Ich konnte sogar verstehen, dass er wegwollte und deshalb in jeder freien Minute bei Immo-Net und Immobilienscout 24 rumsurfte. Blöd nur, dass er sich ausgerechnet auf Stuttgart fixiert hatte, weil er da stellvertretender Leiter einer privaten Schönheitsklinik werden konnte. «Er hat doch eine Stelle», sagte ich zu meiner Mutter. «Wieso bleibt er nicht einfach hier?»
    «In Stuttgart verdient er fast das Doppelte», sagte sie. «Und außerdem läuft er da seiner Exfrau nicht alle paar Tage über den Weg.»
    Uwe war wahrscheinlich kein schlechter Kerl. Aber er

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