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Klassenziel (German Edition)

Klassenziel (German Edition)

Titel: Klassenziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. A. Wegberg
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war eben nicht mein Vater, und der war für mich nun mal der Maßstab. Mein Vater hatte nie so viel über Geld oder Statussymbole geredet, war schlagfertiger, trug coolere Klamotten, sah besser aus und redete vor allen Dingen nicht mit mir, als würde er seinen Text aus einem Vorabendserien-Drehbuch ablesen. Wenn mein Vater Chucks anzog, dann kam das lässig rüber. Wenn Uwe Chucks anzog, tat er das mit einer unverkennbaren Absicht – yo, Mann, ich bin ja so jugendlich, und außerdem kenne ich die angesagten Marken –, und das war einfach nur peinlich.

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    E igentlich sollte ich meine Hausaufgaben machen. Stattdessen knabbere ich auf meinem Kugelschreiber rum und lasse mir noch mal durch den Kopf gehen, was Luna heute erzählt hat. Dass sie ihren Vater nie kennengelernt hat und allein mit ihrer Mutter lebt. Abgesehen von den wechselnden Typen, die für ein paar Wochen bei ihnen einziehen und von denen sie immer schon bei der ersten Begegnung weiß, dass sie wieder abhauen werden.
    Einen einzigen von all diesen Männern hat Luna echt gemocht. Damals war sie elf. Er hat zwar auch nur höchstens ein halbes Jahr bei ihnen gewohnt, aber er hat sie ernst genommen und nach ihrer Meinung gefragt und ist ab und zu mit ihr in den Zoo oder ins Kino gegangen. Sie kapiert bis heute nicht, warum ihre Mutter ihn rausgeschmissen hat.
    «Die kriegt ihr Leben einfach nicht auf die Reihe», hat Luna gesagt. Das hörte sich nicht verächtlich an, sondern bloß traurig. Ich hab ihre Hand genommen und ein paar Minuten lang festgehalten. Jetzt versuche ich, mir so eine Kindheit vorzustellen: mit ständig wechselnden Papas, von denen keiner wirklich an einer Vaterrolle interessiert ist. Den meisten davon war Luna wahrscheinlich nur lästig.
    Meine Familie ist inzwischen auch total kaputt. Aber mit Sicherheit hab ich mehr Liebe und Geborgenheit gekriegt, als Luna sich überhaupt vorstellen kann. So viel, dass ich davon sogar noch was abgeben könnte. Dann fällt mir Dominik ein, der doch in genau derselben Umgebung groß geworden ist wie ich. Gleiche Bedingungen, aber ziemlich unterschiedliche Ergebnisse. Was hat ihm wohl gefehlt? Und was wäre aus ihm geworden, wenn er so aufgewachsen wäre wie Luna? Und wird Luna irgendwann durchdrehen und auf andere Menschen losgehen?

    U ngefähr drei oder vier Wochen nach dem Amoklauf kam meine Mutter mit dem schnurlosen Telefon in mein Zimmer. Sie guckte irgendwie komisch. «Für dich.» Weil ich ihren Blick nicht deuten konnte, kriegte ich ein ungutes Gefühl. Ich sagte meinen Namen in den Hörer, während meine Mutter wieder rausging.
    «Hier ist Stefanie Kisters.»
    In meinem Kopf drehten sich mit deutlichem Krachen ein paar Zahnräder.
    «Die Mutter von Melody», fügte die Stimme im Telefon hinzu. Genau zu diesem Ergebnis war ich auch gerade gekommen. «Oh! Hallo», sagte ich vage.
    Ich hatte Melodys Mutter nur ein einziges Mal gesehen – an diesem Abend, bevor Nick mich ins Klo gesperrt hatte. Ehrlich gesagt wusste ich nicht mal mehr genau, wie sie ausgesehen hatte, weil ich viel zu ungeduldig gewesen war, endlich mit Melody auf ihr Zimmer zu gehen und ihr den Rock hochschieben zu können. Soweit ich mich erinnern konnte, war sie ganz nett gewesen. Aber ob ihr Anruf jetzt gut oder schlecht war, konnte ich nicht sagen. Nach der Begegnung mit Tills Mutter war ich jedenfalls ziemlich angespannt.
    «Ich wollte bloß mal … mit dir reden», sagte Stefanie Kisters. «Ich meine, du bist doch mit Melody gegangen, oder?» Fast hätte ich geantwortet, dass ich alleine gegangen und Melody zu Hause geblieben war, aber dann fiel mir noch rechtzeitig ein, dass «miteinander gehen» so was Ähnliches hieß wie zusammen sein. Früher mal. In den Achtzigern oder was weiß ich. «Ja, das stimmt. Aber leider nur ganz kurz.» Noch während ich das sagte, merkte ich, wie mir die Tränen kamen. Das letzte Wort klang deshalb schon ziemlich gequetscht.

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    I ch gebe zu, ich hätte mir mehr Mühe geben können mit meinen Hausaufgaben. Aber es ist schon spät, ich hatte einen langen Tag, und vor mir liegt ein ganzer Stapel selbstgebrannter CDs, die Moritz wie versprochen in den Briefkasten geworfen hatte. Siebzehn Stück, um genau zu sein. Das ist wahrscheinlich die Programmauswahl für unseren Auftritt. Was hab ich mir bloß dabei gedacht? Das schaff ich doch niemals in zwei Wochen!
    Ich schiebe die erste CD in meinen Laptop und klicke auf Wiedergabe.

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