Klatschmohn
das Universum besäße keinen Humor. Ausgerechnet Lilli einen Kinderarzt zu schicken. Das war gut!
»Na und dann?«, bohrte ich weiter.
»Er blieb die Nacht über, und es war so schön. Am nächsten Morgen bin ich durch lautes Fluchen im Bad geweckt worden und Sebastian erschien mit rotem Kopf im Schlafzimmer und hat nur gerufen: >Lilli, wieso um alles in der Welt stellst du Salz auf deinen Klokasten? Ich bin an die Packung gestoßen und hab alles verschüttet. <
Kannst du dir das vorstellen? Ausgerechnet mein gutes Feng-Shui-Salz!« Sie musste kichern. »Ich hab dann den dreibeinigen Frosch schnell versteckt. Und jetzt kommt das Unglaublichste. Er sagte: >Du Lilli, ich muss jetzt in die Praxis. Aber ich würde dich heute Abend gerne sehen. Hast du Zeit für mich?<«
Nun war ich an der Reihe, verdutzt zu sein.
Kein »Ich ruf dich mal an« oder »Du wusstest ja eh, dass das nur für eine Nacht ist«. Oder, auch eine beliebte Variante: »Ich habe ganz vergessen, dir zu sagen, dass ich eine Freundin habe. Schon seit drei Jahren. Und wir sind echt glücklich.«
Dieser Sebastian spielte keine Spielchen, hatte wohl noch nie von der Drei-Tage-lang-nicht-anrufen-Regel gehört und verachtete Lilli auch nicht dafür, dass sie am ersten Abend nachgegeben hatte. Er war weder verheiratet noch lebte er bei seiner Mutter, und schwul war er offensichtlich auch nicht.
Lilli konnte ihr Glück gar nicht fassen.
Die Katzen-Paranoia-Vision geriet plötzlich in weite Ferne, die Toskana-Weingut-Gedanken mit kleinen, spielenden, verschmutzten Kindern rückten näher. Uns blieb nur übrig, es als das zu sehen, was es war: ein Wunder.
Lilli stand auf, hakte sich unter, und wir machten das Einzige, was man in so einem Moment machen kann: Champagner kaufen und zu Katharina fahren.
Unterwegs rief ich Vera im Verlag an. Sie verstand und versprach, sich etwas Passendes einfallen zu lassen. Frauenarzt oder so, da fragt keiner genauer nach.
Bei den von Steinbecks war um diese Zeit nur das Personal wach. Katharina, von Beruf Tochter und Erbin, konnte es sich leisten, das Leben einer Marie Antoinette zu führen. Zum Zeitvertreib führte sie gelegentlich eine kleine, aber exquisite Galerie, denn Kunstverstand hatte sie, und trotz der unregelmäßigen Öffnungszeiten war Katharinas Geschäft längst kein Geheimtipp mehr.
Wir ließen Katharina wecken, und als sie im seidenen Negligee im Frühstückssalon auftauchte, sah sie alles andere als amüsiert aus.
»Kinder, ich hoffe, ihr habt einen Grund. Einen sehr guten Grund!«
Als Antwort streckten wir ihr Champagner entgegen, ein sicheres Mittel, um Frau von Steinbeck milde zu stimmen, und Lilli begann zu erzählen.
Freifrau Katharina war zwar hart gesotten, aber bei Lillis freudestrahlender Erzählung bekam selbst sie feuchte Augen. Sie stand auf, umarmte Lilli und schüttelte den Kopf.
»Das gibt’s doch gar nicht! Jetzt bekommt unsere kleine Romantikerin doch tatsächlich das, was sie sich zusammengesponnen hat. Ach Lilli, ich freue mich so für dich!«
Wir stießen gerade an, als Herbert, auf dem Weg zur Arbeit, vorbeikam.
Neugierig wie immer musste er natürlich sofort erfahren, was Anlass der Feier sei.
»Und was macht der Traummann beruflich?« Typisch Herbert, immer geschäftlich denken.
Als Lilli die vier magischen Buchstaben aussprach, stand Herberts Mund vor Ehrfurcht offen.
»Ein Arzt? Lilli, er ist Arzt? Weißt du denn, wie lange ich mir schon wünsche, dass jemand aus der Familie oder dem Freundeskreis endlich mal Arzt wird oder sich einen angelt? In meiner Branche trifft man doch auf keine Mediziner. Lilli, wir müssen unbedingt zu dritt essen gehen. Was ist denn sein Spezialgebiet?« Herbert war nicht mehr zu bremsen.
Man möchte meinen, dass ihn die Tatsache, dass Sebastian Sommerfeld Kinderarzt war, enttäuschen würde, doch wer kann sich schon in die Gedanken eines Hypochonders versetzen?
»Das macht überhaupt nichts. Im Gegenteil, als Kinderarzt hat er die gleiche Ausbildung wie ein Allgemeinmediziner, kann aber die typischen Kinderkrankheiten, die ja gerade beim Erwachsenen so tückisch sind, besser diagnostizieren. Wie heißt er noch gleich, Lilli? Ich werde sofort im deutschen Ärzteblatt nachschauen, ob er schon publiziert hat. Und sag mir Bescheid, wann ihr mal Zeit habt, essen zu gehen, ja? Ich muss los, aber Lilli, ich kann nur sagen, eine gute Wahl, wirklich eine gute Wahl!«
So viele glückliche Menschen an einem gewöhnlichen
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