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Klatschmohn

Klatschmohn

Titel: Klatschmohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Greifeneder
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Mutter-Kind-Projekt beim Sender? Ich dachte, du passt auf die kleine Wundermarie auf.«

    Dieses glückliche Lächeln, und sie wirkte so entspannt. Sollte sie tatsächlich jemanden getroffen haben?

    »Pia, es war Liebe auf den ersten Blick. Das heißt, erst war es schlimm, aber dann umso schöner!«

    Sie erzählte mir ausführlich, was sich zugetragen hatte.

    Wochenlang hatte sie den Charity-Tag zugunsten von Kindern in Not vorbereitet. Endlich ein Projekt, das sie ganz vereinnahmte. Keine flachen News, welcher Star sich mal wieder publicitywirksam den Busen wiegen lässt, keine Hitwunschsendung, sondern eine sinnvolle Arbeit, die ihr Spaß machte. Sie hatte Projekte auf ihre Seriosität hin geprüft und Kamerateams in die Regionen gesandt.

    Der Kindertag hatte sie nicht zuletzt deshalb so beschäftigt, weil sie einen Tag lang auf ein kleines Gesangswunder aufpassen durfte. Das Wunderkind hieß Marie und sah mit seinen langen blonden Haaren und den babyblauen Augen genauso aus, wie Lilli sich ihre Tochter vorstellte.

    Nur das Laura-Ashley-Kleidchen fehlte.

    Die Mutter der kleinen Marie war verhindert, und da Marie mit ihren fünf Jahren ganz Profi war und in der gleichen Stadt wohnte, hatte ihre Mutter nach einem Treffen eingewilligt, Lilli die Aufsichtspflicht für besagten Termin zu übertragen.

    Lilli hatte seither von nichts anderem mehr gesprochen. Marie hier, Marie da. Sie hatte uns sogar gezwungen, eine Weihnachtsplatte des kleinen Engels anzuhören, mitten im Sommer. Und wenn mich nicht alles täuschte, hatte Lilli bei »Süßer die Glocken nie klingen« feuchte Augen bekommen.

    Es war nicht gut bestellt um Lilli. Sie war gerade zweiunddreißig geworden.
    Kurz nach ihrem Geburtstag hatte sie eine Liste gefunden, die sie mit sechzehn geschrieben hatte, darauf die verschiedensten Dinge, die sie vor ihrem Dreißigsten erlebt haben wollte. Das Ergebnis war niederschmetternd.

    Sie war nicht in der Mongolei zelten gewesen, und den Pilotenschein hatte sie auch nicht gemacht. Kein einziger Wunsch, den sie als junges Mädchen gehegt hatte, war Realität geworden.

    Sie war weder Tierärztin geworden, noch lebte sie mit einem gut aussehenden Künstler zusammen. Und drei Kinder namens Sophie, Laura und Romeo hatte sie auch nicht bekommen. Ihr sehnlichster Wunsch, ein Weingut mit Pferden und Katzen in der Toskana, war in weite Feme gerückt.

    Deshalb hatte sie einen Entschluss gefasst: Sie würde sich zumindest den Traum von den Kindern erfüllen. Es gab heutzutage viele allein erziehende Mütter.

    Auch wenn sie im Herzen altmodisch war und sich immer eine komplette Familie vorgestellt hatte, wollte sie wenigstens nicht ihre Chance auf Kinder vertun. Und Marie sollte ihr helfen, herauszufinden, ob sie als Mutter taugen könnte.

    Marie sah in Wirklichkeit noch anbetungswürdiger aus als auf ihren CD-Covern. Sie schien keines dieser hoch gezüchteten Wunderkinder mit Eiskunstlaufmutti im Hintergrund zu sein. Vielmehr war es ihr geradezu ein natürliches Bedürfnis zu singen.

    Vertrauensselig war sie auch; zumindest war sie anstandslos mit Lilli mitgegangen.

    »Na, Marie, wir haben noch genau drei Stunden, bis du in die Maske musst.
    Was möchtest du denn bis dahin machen?«, hatte Lilli sie erwartungsvoll gefragt, und Marie hatte ein
    »Weiß nich!« durch ihre Zahnlücke gelispelt. Mit ihren kleinen Händchen hatte sie im Mund herumgespielt und lustig vor sich hin geplappert.

    »Duuu, der Thomaph aus der Kinderchorgruppe hat Maphern gehabt, und der liegt jetzt im Bett mit roten Flecken.«

    Lilli hatte versucht, sie mit Zoo und Eis essen zu locken. Vergeblich. Marie war nur von einem Spielzeugladen zu überzeugen, und das einzig zu dem Zweck, ihr ein Maskottchen für den Auftritt zu kaufen.

    Lilli merkte, dass sie bereits nach kurzer Zeit in die Konsumschiene abgedriftet war, und dabei hatte sie sich doch vorgenommen, Marie pädagogisch wertvoll zu unterhalten.

    Es hätte nur noch gefehlt, Marie vor die Glotze zu setzen, wobei diese Kinder heutzutage sicher schon im Internet surften und sich in Kinder-Chatrooms als Pippi564 und Pumuckl471 trafen.

    Stolz war Lilli mit Marie an der Hand durch die Stadt spaziert. Alle hatten sie für die Mutter gehalten. Lilli konnte der Versuchung nicht widerstehen, bei Laura Ashley ein neues Kleid für Marie zu kaufen.

    Nachdem Marie sich als Maskottchen eine Steiffgiraffe ausgesucht hatte, war sie von Lilli direkt zum nächsten Fotoautomaten geschleppt

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