Klatschmohn
einzugehen.
Die Oper, in der die Verleihung stattfand, sah man schon von weitem hell angestrahlt. Und wieder waren sie alle gekommen. Inzwischen kannte ich die Gesichter und Riten auswendig. Ich hätte zu »Wetten, dass …?« gehen können in der Kategorie:
»Wetten, dass ich jeden Prominenten an den gebleachten Schneidezähnen erkenne?«
Zum Glück war Leander geschäftlich unabkömmlich und nicht in der Stadt.
Trotzdem war der ein oder andere seiner Freunde da, die mich herzlich als Leanders Biografin begrüßten.
Vor kurzem hätte ich über diesen Scherz mitgelacht, doch inzwischen schwante mir, dass es auf Seiten von Leanders Freunden gar kein Scherz war, sondern er mich eben wirklich nur als Biografin eingeführt hatte, die er gerne mochte. Ein Küsschen hier und da, auch auf den Mund, fiel in diesen Bussikreisen nicht weiter auf, schließlich kannte man sich und küsste sich gerne auf den Mund, weil man doch noch so frei und unkonventionell wie damals in Pariser Studententagen war und gerne mal vergaß, dass man gerade in der Kapitalistenkarre chauffiert wurde und Designerklamotten trug. Was für mich Liebesbeweise gewesen waren, nämlich Küsse von Leander in der Öffentlichkeit, fiel hier nicht weiter auf.
Und wieder lag der rote Teppich aus, die üblichen Verdächtigen drehten und wendeten sich in total »crazy« Kreationen für die Fotografen. Man ging hinein, und die glanzvolle Location war von einem der drei führenden Eventveranstalter ausgestattet; der dazugehörende Partyservice sorgte für die Bewirtung. Inzwischen erkannte ich die Aushilfskräfte, meistens gut aussehende BWL-Studentinnen, wieder. Ich wusste nicht, ob es an meiner gedrückten Verfassung lag, dass bei mir keine rechte Stimmung aufkommen mochte.
Max bemerkte meine Gemütslage und versuchte mich aufzuheitern.
»Mensch, Mohnhaupt. Ich dachte, dass dir wenigstens solche Events Spaß machen. Wegen mir sind wir ja wohl kaum hier. Versuch doch mal etwas Freude zu empfinden!«
»Ich hab mein Prozac vergessen«, versuchte ich einen kläglichen Witz. Mir ging es wirklich nicht gut, und mitten drin in dieser »Super-drauf«-Gesellschaft wurde es nicht gerade besser. Mir kam ein Hesse-Gedicht in den Sinn, das mein Freund Till in solchen Momenten zitierte.
»Kennst du das auch, dass manches Mal, inmitten einer lauten Lust, bei einem Fest in einem frohen Saal, du plötzlich schweigen und hinweggehen musst?«, murmelte ich.
»Dann legst du dich aufs Lager ohne Schlaf, wie einer, den ein plötzlich Herzweh traf; Lust und Gelächter verstiebt wie Rauch, du weinst, weinst ohne Halt - kennst du das auch?«, beendete Max den Satz. »Möhnchen, wir müssen da nicht rein, wenn es dir nicht gut geht.«
»Leider doch. Ich muss die Kolumne schreiben und kann >update< nicht hängen lassen.«
Max blieb stehen, fasste mich an beiden Händen. »Pass auf. Lass uns da hineingehen, einfach nur beobachten und uns darüber amüsieren. Gibt es etwas, was du schon immer mal auf so einer Party machen wolltest?«
Ich überlegte. »Du meinst, außer allen zu sagen, was für ein Charakterschwein Leander ist?«
Max gab wirklich alles, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Die Verleihung begann, und wir nahmen unsere Plätze ein. Das Fernsehen übertrug, und ich war sicher, vor dem Bildschirm würde man mehr sehen und konnte bei den Werbebreaks wenigstens kurz aufs Klo oder schnell Zähne putzen und musste nicht auf dem Stuhl sitzen bleiben, weil man eventuell zu spät zurückkehrte und ein gestriegelter Platzhalter bereits den Stuhl blockierte.
Nachdem unter tosendem Beifall der letzte Promi geehrt worden war und man aufstehen durfte, raste ich aufs Klo. Mein Ausschlag juckte schon die ganze Veranstaltung über, und ich musste dringend nachcremen. Ich ging in die Kabine und holte unauffällig meine Creme hervor, um die roten Pusteln zu beruhigen. Als ich ans Waschbecken trat, merkte ich schnell, dass einem hier nichts peinlich sein musste. Das Klo schien eine tabufreie Zone. Da wurden die Brüste noch mal nachgetaped, Haarteile toupiert, Zähne gecheckt und gereinigt, die ein oder andere zog sich ’ne line und zwei Damen verglichen ihre G-Strings, um festzustellen, welcher weniger abzeichnete.
Max hatte bereits zwei Drinks organisiert.
»Und wie war’s auf dem Klo?«
»Super! Einmal eingeatmet und wieder gut drauf!«, antwortete ich mit Anspielung auf das Schneetreiben.
»Ich würde ja zu gern mal mit, wenn Frauen aufs Klo gehen.
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