Klausen
Verlauf der Untersuchungen konfrontiert worden sei. Neri also, der in quälender Weise an Arthritis leidet und daher zu ausgedehnten Spaziergängen gezwungen ist, habe an jenem Tag eine Runde dort oben drehen wollen. Er habe Gasser auf der Höhe Branzolls gesehen, nicht allerdings habe dieser auf einer Bank oder vor einer Erle oder Fichte, sondern im Garten selbst gesessen, auf einer Steinbank zwischen zwei Oleandertöpfen. Sein Gesichtsausdruck habe von bester Laune gezeugt, er habe immer wieder zum Balkonzimmer neben dem Turm hinaufgeschaut und munter und unternehmungslustig gewirkt. Dort habe sich nach einer Weile die Besitzerin gezeigt, und nichts habe darauf hingedeutet, daß es für sie etwa eine Überraschung gewesen wäre, Gasser dort in ihrem Garten sitzen zu sehen. Allerdings habe sie weder gewunken noch sonst irgendwie reagiert. Vielmehr sei sie gleich wieder verschwunden. Gasser habe von alldem scheinbar nichts zur Kenntnis genommen. Dannjedoch, wie auf ein verabredetes, aber für Neri unsichtbares Zeichen, sei Gasser plötzlich in die Burg hineingegangen, justament durch die Eingangstür, die offenbar nicht versperrt gewesen sei. Neri habe daraufhin unter großen Schmerzen, aber unter noch größerer Neugier eine geschlagene Stunde auf einer Bank gewartet, dann sei Gasser wieder aus dem Eingangsportal herausgekommen. Neri könne es zwar nicht beschwören (das sagte er auf der Bozner Wache), aber auf ihn habe Gasser nun einen stark veränderten Eindruck gemacht, seine Frisur und Kleidung hätten sich in Unordnung befunden. Ebenfalls sei an Gasser nun zu beobachten gewesen, daß er nachdenklich gewirkt und ein Paket unter dem Arm getragen habe, ein überaus fragwürdiges und rätselhaftes längliches Paket, nämlich ein solches, wie man es später auf der anderen Seite des Eisacks unweit des Kalksilos gefunden habe. Gassers Paket habe diesem Paket am Kalksilo sehr ähnlich gesehen, es sei geradezu mit ihm identisch gewesen. Er, Neri, glaube sogar erkannt zu haben, daß sich rote und schwarze Schriftzeichen auf dem Paket befunden haben, wie auf jenem unweit des Silos gefundenen, das im Alto Adige abgebildet worden war. Gasser sei einige zehn Meter von der Burg weggelaufen, dann habe er das Paket plötzlich begeistert, ja liebevoll betrachtet und es überaus vorsichtig in seinen Händen hin und her gewendet. Anschließend habe er sich auf einen Stein gesetzt, das Paket geöffnet und ihm gewisse Dinge entnommen … Hier setzten Neris detaillierte Erinnerungen allerdingsplötzlich aus, denn er sprach immer nur von Gegenständen ( cose ) und möglicherweise technischen Geräten ( apparecchi ), die er allesamt nicht habe erkennen können, er habe sich nämlich im Hintergrund halten müssen und alles nur von Ferne beobachten wollen, denn freilich habe ihm schon damals dies und das hinsichtlich Gassers geschwant etcetera . Hanspaul Meraner seinerseits tat diese ganze Erzählung Neris als totalen Quatsch ab. Natürlich entstanden späterhin Gerüchte über ein Verhältnis Gassers zur Besitzerin Branzolls, und dabei hielten jene, die dieses Verhältnis für ausgemacht hielten, denen die Waage, die abstritten, daß Gasser die Frau überhaupt nur kenne. Die besagte Piemonteserin war dadurch im Tal schon bald einem gewissen Gerede ausgesetzt. Das lag natürlich allein daran, daß sie mit ihren beiden Kindern allein dort oben auf der Burg wohnte. Eine Frau, alleinstehend, eine Burg, die Abgeschiedenheit, die Zitronenbäume auf der Terrasse, der Oleander, Reichtum, da blieb es nicht aus, daß man sich über jedes Auto, das dort hinauffuhr, sofort den Mund zerriß und Geschichten erfand. Gasser wurden noch anderweitige anzügliche Verhältnisse angedichtet. Das schien fast mit Notwendigkeit zu geschehen: Wo jemand ins Gerede kommt, werden ihm alsbald auch frei ins Kraut schießende Geschichten über irgendwelche Unzüchtigkeiten angehängt, und zwar von völlig erwachsenen Leuten, die ansonsten nie weiter auffallen. (Gasser wurde sogar von gewisser Seite angehängt, einschlägige Photographien seiner Schwestervertrieben zu haben, obgleich solche Photographien nie entdeckt wurden.) Es blieb ebenfalls nicht aus, daß später unzählige Versionen über das erwähnte Paket berichtet wurden, an allen möglichen Orten, und am hartnäckigsten hielt sich die Behauptung, in diesem Paket habe sich ein Spezialgewehr mit Zielfernrohr befunden, für Schüsse aus großer Distanz. Je weniger man sagen konnte, woher (also von wem) dieses
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