Klausen
wegen der Farbe, weil die eine ganz andere Farbe haben als wir. Perluttner: So viel könne kein Mensch fernschauen, wie der Ausländer gesagt hat. Und ja, sagte wer, könne man, ha, er habe gestern abend sogar den Schluß der Anwaltsendung, die Nachrichten, zwei Spielfilme und noch ein Magazin geschaut. Jemand: So, ein Magazin. Er: Ein Magazin. Ein politisches Magazin. Badowsky, dreckig lachend: So, in der Nacht, ein politisches Magazin! Frau Dr. Klein: Sie habe heute nacht auch ein politisches Magazin geschaut. Ihr Mann habe geschlafen, denn trotz seiner Empfindlichkeit schläft er gut, viel besser als sie, sie schlafe immer schlecht ein, aber er habe geschlafen, wie immer so tief wie ein Stein, da habe sie den Fernseher angemacht. Moreth: Und da sei ihr Mann wieder aufgewacht! Sie: Nein, er habe weitergeschlafen. Wenn er einmal schläft, dann schläft er. Er trinkt ja auch jeden Abend eine Flasche Wein. Er trinkt unerhört viel. Jeden Abend eine Flasche Wein. Fast alle im Vorraum des Kellers starrten hierauf zu Boden oder an die gegenüberliegende Wand, mit möglichst unbeteiligten Gesichtern. So, eine Flasche Wein, das sei … das sei wirklich viel. Ach komm, rief wer, die hast du schon am Mittag weggetrunken. Jemand: Der Südtiroler Wein sei leicht, den könne man trinken. Ein anderer: Ja, der Wein, der gehöre schon dazu. Etcetera etcetera . Dieses Gespräch hatte mehrereKonsequenzen. Erstens begann die öffentliche Meinung Gasser sehr kritisch zu beobachten, weil nämlich auffiel, daß er zu all den besprochenen Angelegenheiten gar nichts gesagt und sich jeder Meinung enthalten hatte. Das hielt man freilich nicht nur für arrogant und anmaßend (»… was steht der da dauernd herum und redet nichts?«), sondern man hielt es auch für besorgniserregend und sogar gefährlich. Gasser wirkte auf viele der Beteiligten so, als mache er Beobachtungen und habe schon seit längerer Zeit einen Plan im Kopf, der sich immer mehr und in immer bedrohlicherer Weise vervollständige, aber freilich konnte niemand sagen, um was für einen Plan es sich handle und wozu dieser diene. Zweitens sprach sich herum, aus welchen Gründen auch immer, daß Gasser nicht für die Bürgerinitiative sei. Da man es aber auch für schlechterdings unmöglich hielt, daß er gegen die Bürgerinitiative sei, vermutete man hier einen Trick. Drittens erinnerte man sich daran, daß es sich bei Gasser immerhin um den Bruder der Frau handelte, die mit Martin Delazer verlobt war und diesen demnächst zu heiraten beabsichtigte. Also bestand doch eine enge Verbindung zwischen Josef Gasser und Martin Delazer! Man begann über diese enge Verbindung zu munkeln. Man überlegte sich auch, wieso Josef Gasser seit einiger Zeit in der Öffentlichkeit so selten mit Sonja Maretsch zu sehen sei und was die ständigen Besuche auf Branzoll bei der Piemonteserin zum Grund hatten. Übrigens sprach sich herum, daß Gasser gegenwärtig in einer sehr aggressivenStimmung sei, denn er soll am vorigen Tag in der Wohnung seiner Mutter eine Szene gemacht haben, die darin gegipfelt habe, daß er seiner Mutter die Lektüre der Magazine X und Y verboten habe, obgleich doch wohl mindestens siebzig Prozent aller Klausnerinnen diese Magazine mit Begeisterung lasen. Es hieß über Gasser, er sei antidemokratisch. Man sagte ihm nach, er ziehe ein Menschenbild, das er sich gemacht habe, den Menschen vor, er wolle die Menschen nicht sie selbst sein lassen. Man begann zu diskutieren: Ob so etwas wie richtig oder falsch objektiv möglich sei? Ist der Autoverkehr an sich falsch? Dieses an sich schien niemandem recht begründbar. Wenn es aber nicht begründbar sei, so könne man daraus auch nichts ableiten. Wenn nun also die Südtiroler ihre Straßen wollten und man nicht objektiv begründen könne, daß dieses falsch sei, was habe man dann für ein Recht, den Südtirolern zu diktieren, was sie tun und was sie nicht tun dürften? Schließlich lebe man in einer Demokratie, da gelte der konkrete Wille der Mehrheit und nicht die abstrakte Wahrheit des einzelnen. (Diese sei stets beliebig, der Wille der Mehrheit nie.) Solche Dispute fanden tatsächlich statt, an vielen Enden und in vielen Ecken Klausens, aber freilich fanden sie nicht in diesen Begriffen und nicht in dieser Deutlichkeit statt, sondern im tiefsten Dialekt und in einer Form des Gedankenbaus, der Auswärtigen wohl kaum verständlich gewesen wäre. Die Menschen reden nämlich so, daß sie, was sie meinen, immer schon beim anderen
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