Klausen

Perluttner: Nein, ich war nicht in Dachau. Aber ich hätte dort hinkommen können, das hätte passieren können, das ist belegt, das gibt es schriftlich, das ist bewiesen, die Söhne der Optanten wurden zum Kriegsdienst herangezogen, und dann kamen sie ins KZ, wenn sie den Kriegsdienst nicht leisteten. Moreth: Nach Dachau kamen die, die für die Italiener optiert haben, jetzt bringst du alles durcheinander. Du meinst das Buch von dem Thaler, der Thaler hat aber für Italien optiert, nicht für Hitler. Perluttner: Er habe das Buch vom Thaler gelesen, von vorne bis hinten. Er sei kein Italiener gewesen, er war ein Kleinhäusler, immer deutsch, und er war in Dachau, er, Perluttner, habe das selbst gelesen. Moreth: Dann lies es nochmal! Jemand zum Pakistaner: Wo sei er denn gestern abend gewesen? Der Pakistaner: Ja, warum frage er das denn? Der andere: Nur so. Also, wo war er heute nacht? Der Pakistaner: Wo warst denn du heute nacht? Der andere, verwirrt: Ich … nun, ich … ich war zu Hause, natürlich war ich zu Hause, das heißt, ich war zuerst nicht zu Hause, ich war … aber das ist doch völlig egal, wo ich gewesen bin, das steht nicht zur Debatte. Ein anderer: Dubist ja schließlich kein Pakistaner. Er: Genau, er sei ja schließlich kein Pakistaner. Der Pakistaner schaute jetzt noch viel erschrockener, obgleich sich auf den Gesichtern der Leute tatsächlich keine Aggression zeigte, sondern vielmehr eine ganz absurde Neugierde und geradezu ein Forscherdrang. Der Huber, hieß es, kann natürlich nicht sagen, wo er gestern abend war, aber fragt doch mal seine Frau. Huber: Halt dein Maul, dein dreckiges! Der andere: Erst fährt er nach Brixen an die Brennerstraße, und dann fährt er irgendwo den Berg hinauf, auf eine Wiese, auf eine Wiese im Mondlicht, nirgendwo verkehrt man romantischer als dort mit den Damen von der Brennerstraße. Huber verbot dem anderen den Mund, der Pakistaner verstand wieder kein Wort, denn da er kein Auto hatte, war er noch nie abends die zehn Kilometer nach Brixen gefahren und kannte die Brennerstraße gar nicht, und so blieb das Gespräch für ihn notgedrungen rätselhaft, zumal einige in der Runde starken Dialekt sprachen. Erneut wurde er gefragt, wo er in der Nacht gewesen sei und ob er denn etwas zu verschweigen habe und deshalb nichts sagen wolle. Er: Er sei natürlich zu Hause gewesen. Er habe ferngeschaut. Und was, fragte man, habe er geschaut? Er: Was er geschaut habe? Erst habe er sich die Anwaltssendung angeschaut, dann Nachrichten, dann noch einen Spielfilm, anschließend noch einen halben Spielfilm … Ein anderer: Die übliche Abendgestaltung. Der Pakistaner: Ja, die übliche Abendgestaltung. Macht ihr etwas anderes am Abend? Alle schautenvor sich hin. Nur Huber schaute nervös zur Wand und auf seine Schuhe. Der Pakistaner: Also, jetzt habe ich eure Frage beantwortet, und jetzt sagt mir, warum ihr fragt! Aha, ihr wollt es nicht sagen. Dann sage ich es euch. Ihr fragt wegen der Schlägerei auf dem Platz vor der Schule. Darauf bin ich heute schon dreimal angesprochen worden. Erst hieß es, es sind alles keine Klausner gewesen, sondern sie sind aus Villanders oder aus Gufidaun gekommen, die Leute. Dann hieß es, es sind gar keine Eisacktaler gewesen. Aber was sollen es sonst für Leute gewesen sein, wenn es keine Eisacktaler waren? Perluttner: Italiener, natürlich Italiener! Wieso sollen es keine Italiener gewesen sein? Der Pakistaner: Wisse er nicht. Beim dritten Mal habe es dann plötzlich geheißen: Was hätten er und seine beiden Kollegen eigentlich heute nacht auf dem Platz vor der Schule zu suchen gehabt? Und seitdem glauben die Klausner, daß sie dort gewesen seien. Jemand: Es sei ja auch nicht auszuschließen, daß sie dort gewesen seien. Er: Es ist auch nicht auszuschließen, daß du dort gewesen bist, oder? Der andere: Er sei Südtiroler. Das sei etwas anderes. Der Pakistaner schaute jetzt wieder erschrocken, musterte die Leute, denen er in den letzten Jahren allesamt Balkons oder Erker an ihre Häuser angebaut oder die Dächer erneuert etcetera hatte, trank schnell aus und verließ das Lokal. Da stimme was nicht, rief jemand. Ein anderer: Was hätte der Pakistaner denn anderes sagen sollen als das, was er gesagt hat? Der Vorherige: Er selbst hätte genau dasselbe gesagt. Ein Alibi! Die Anwaltssendung,Nachrichten, einen Spielfilm und dann noch einen halben. Aber da müßte er ja rote Augen haben heute, bei so viel Fernschauen. Ein anderer: Das sieht man bei denen nicht,