Klebstoff
mein Atem ging flach.
Ich versuchte mir weiter einzureden, das wär einfach nur n weiterer Tag und die Nacht nur ne weitere Nacht in nem langen, dunklen Tanz von Nächten, der sich weit raus ins Nichts fortsetzte, viel weiter, als man sehen konnte. Mein Leben würde weitergehen, sagte ich mir, vielleicht noch sehr lange. Aber die Vorstellung war alles andere als tröstend, ihr Schrecken zermalmte beinah das Wenige, was noch in mir war.
Weiter ging’s vielleicht noch, aber besser würd’s nich werden.
Man erkennt nich, was ein Hoffnungsanker ist, ehe man weiß, dass endgültig keiner mehr da ist. Man ist wie ausgenommen, wie ausgeweidet, und kommt sich vor, als gehörte man gar nich mehr zu dieser Welt. Es ist, als wär nich mehr genug Masse vorhanden, um dich mit ihrem Gewicht auf dieser Erde zu halten.
Wenn die Realität auseinander bricht, sieht man alles erst mit flüchtigem, unscharfem Blick, um dann verzweifelt Extremes wie Banales in den Sucher zu holen. Man greift nach allem Erdenklichen, egal wie blöd, das einem ne Antwort geben könnte: versucht um jeden Preis, darin ne Bedeutung zu erkennen.
Die Wand vor mir schien das Geheimnis meiner Zukunft zu bergen. Das Samuraischwert, die Armbrust. Da an der Wand, sie starrten mich direkt an.
Die Zukunft: Sie starrte mir ins Gesicht. Regel das, regel deine unerledigten Angelegenheiten.
Ich nahm das große Samuraischwert von der Wand. Ich zog es aus der Scheide und sah, wie es im Licht blitzte. Aber die Klinge war stumpf, die hätte nich mal Butter schneiden können. Terry hat’s mir geschenkt, er hat’s irgendwo gestohlen.
Aber wär ja kein Akt, die Klinge zu schärfen.
Die Armbrust war nicht so n reines Dekorationsstück. Ich nahm sie ab, wog sie in der Hand, legte den fingerdicken Bolzen ein, zielte und jagte ihn in das rote Zentrum der Zielscheibe an der gegenüberliegenden Wand.
Setzte mich wieder hin, dachte über mein Leben nach. Versuchte mich an meinen Vater zu erinnern. Die flüchtigen Besuche im Lauf der Jahre. – Wann kommt Dad nach Haus? fragte ich meine Ma immer ganz begierig.
– Bald, sagte sie dann oder zuckte bei anderen Gelegenheiten bloß die Schultern, als wollte sie sagen, woher soll ich das verdammt nochmal wissen?
Die Lücken zwischen seinen Besuchen wurden länger, bis er bloß noch n ungebetener Fremder war, dessen Anwesenheit den gewohnten Tagesablauf störte.
Ich weiß aber noch, an einem Feuerwerkstag, als wir klein waren. Da ist er mit mir, Billy, Rab und Sheena in den Park gegangen; wir waren dick eingemummt gegen die Novemberkälte. Die Raketen, die er gekauft hatte, steckte er einfach mit ihren Stöcken in den gefrorenen Boden. Eigentlich sollte man sie in Flaschen stellen, aber wir dachten, er wüsste schon, was er tut, und sagten nix.
Ich und Billy warn erst sieben und wussten das schon. Wieso verfickt nochmal wusste er das nich?
Raketen solln in den Himmel zischen und dann explodieren, aber wir sahen zu, wie unsere einfach ausbrannten und knallten, ohne den kalten, gefrorenen Boden zu verlassen. Er wusste nichts, weil er ständig einsaß. Das Schlimmste, was meine Mutter in meiner Kindheit zu mir sagen konnte, war, ich wär so verkommen wie mein Vater. Ich sagte mir, ich würd niemals, unter keinen Umständen so wie er werden.
Und dann saß ich selber ein.
Zweimal im Knast, ein Mal unschuldig, das andere Mal schuldig. Ich weiß nicht, worüber ich mich am meisten aufgeregt hab; das Verbrechen der Blödheit ist das allergrößte Scheißverbrechen überhaupt. Jetzt sitz ich wieder in der Siedlung in ner Sozialwohnung, die mir n Freund, Colin Bishop, der zum Arbeiten in Spanien ist, untervermietet hat. Schon komisch, die Leute sagen, aye, biste schließlich doch hier geendet. Nur dass ich wirklich hier enden werd.
Es hat den ganzen Tag in Strömen geregnet, aber jetzt seh ich, dass es sich ausgeregnet hat. Über der Straße steht n Regenbogen.
In meiner Birne geht’s rauf und runter wie bei nem Yo-Yo. Jetzt denk ich drüber nach: Wie viele Menschen schon die Chance kriegen, alte Rechnungen zu begleichen, eh sie abtreten? Nich viele. Die meisten Menschen machen’s richtig lange und ham dann zu viel zu verlieren; entweder das, oder sie sind zu schwach, um noch was zu tun, wenn sie wissen, dass es mit ihnen zu Ende geht. Es unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, gibt mir n Gefühl von Stärke.
Darum fühlte ich mich, als hätt ich vom Schicksal echt die allerschlechtesten Karten ausgeteilt bekommen, aber
Weitere Kostenlose Bücher