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Klebstoff

Klebstoff

Titel: Klebstoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh
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stammelnd und zuckend vor ihr stand. Er war in schrecklicher Verfassung. Alles, was sie sich gewünscht hatte, war ab und zu ein Anruf, damit sie wusste, dass es ihm gut ging, und jetzt steigerte er sich wegen einer Nichtigkeit in diese Aufregung und Selbstzerfleischung. – Hör auf, Junge. Hör auf! sagte sie und nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände. – Du hast genug getan. Du hast verhindert, dass wir unser Haus wieder hergeben mussten, du hast verhindert, dass man uns auf die Straße gesetzt hat.
    – Aber ich hatte das Geld … ich konnte es mir leisten, begann er. Seine Mutter schüttelte erneut seinen Kopf und ließ dann los.
    – Nein. Mach dich nicht so klein. Du weißt ja gar nicht, wie viel uns das bedeutet hat. Du hast uns in die Staaten mitgenommen, lächelte sie. – Oh, ich weiß, für dich war das gar nichts, aber für uns war es der Urlaub unseres Lebens. Deinem Dad hat das so viel bedeutet.
    Carls Schläfen pochten vor Erleichterung bei den Worten seiner Mutter. Er war sich selbst gegenüber zu streng gewesen. Heilige Scheiße, gut, dass ich sie in die Staaten eingeladen hab, mit dem alten Jungen in Graceland war. Ich hab Tränen in seinen Augen gesehen, als er am Grab von Elvis stand.
    Aber das Merkwürdigste, das, was ihn wirklich von den Socken gehauen hatte, war, wie er ihn mal in ne Bar in Leeds mitgenommen hatte, ins Mojo. Als sie kurz vor Schluss die Live-Version von American Trilogy spielten, überall in der Bar die Feuerzeuge aufflammten und alle Hab-Acht-Stellung einnahmen. Sein Vater konnte es nicht fassen. Bis dahin hätte Duncan nie geglaubt, dass junge Leute aus dieser Generation, der Acid-House-Generation, so viel für Elvis übrig haben könnten. Dann schleifte Carl ihn mit ins Basic und ließ ihn Ecstasy ausprobieren. Und er begriff es. Er wusste, dass es ihm niemals das bedeuten würde, was es seinem Sohn bedeutete, aber er begriff es.
    Carl fragte sich, ob er seiner Mutter davon erzählen sollte. Sie und Avril waren damals übers Wochende in St. Andrews gewesen. Er hatte Duncan erst zum Spiel Liverpool gegen Man United mitgenommen, dann nach Leeds ins Mojo und dann weiter ins Basics. Er hatte ihr alles erzählt, bis auf das mit dem Ecstasy. Nein, jetzt war vielleicht nicht der rechte Zeitpunkt dafür.
    Maria sah ihren Sohn an und nippte an ihrem Kaffee. Was war nur mit ihm los? Er hatte alles, was sie und Duncan sich ihr Leben lang gewünscht hatten, er war dem Achtstundentag entkommen, aber er schien das gar nicht würdigen zu können. Vielleicht tat er es auf seine eigene Weise. Maria verstand ihren Sohn nicht und würde ihn womöglich nie verstehen. Aber vielleicht musste das so sein. Sie wusste nur, dass sie ihn liebte, und das war genug.
    – Gehen wir wieder rein.
    Sie lösten Sandra und Billy an der Seite von Duncans hinfälligem Körper ab. Carl sah wieder auf seinen Vater hinunter, und eine beinahe unerträgliche Spannung schnürte ihm den Brustkorb zusammen. Er wartete darauf, dass ihre Intensität nachließ, aber das tat sie nicht; ein konstantes, unaufhörliches Druckgefühl blieb.
    Dann öffnete Duncan mit flatternden Lidern die Augen, und Maria sah in ihnen das verrückte Licht, das seine Lebenskraft ausmachte. Sie hörte einen tollen Song, sah einen glorreichen Sieg von Kilmarnock, obwohl sie in ihrem ganzen Leben noch bei keinem Fußballspiel gewesen war, und vor allem sah sie ihn, den Blick, den er immer hatte, wenn er sie ansah. Die welke, sterbliche Haut um sein Gesicht schien zu verblassen, als sie in diese Augen hineingesogen wurde.
    Carl sah, was in diesem Moment zwischen ihnen vorging, und fühlte sich kurz in dieses Überflüssigsein der Kindheit zurückversetzt, das Gefühl, selbst mehr zu sein, als die beiden zu ihrem Glück brauchten. Er rutschte vorsichtig wieder auf seinem Stuhl zurück. Dieser Augenblick gehörte ihnen.
    Aber Duncan versuchte zu sprechen. Maria sah krank vor Angst, wie die grüne Linie auf dem Monitor unregelmäßig auf und ab zu zucken begann. Er quälte sich. Maria ergriff seine Hand und beugte sich über ihn, um ihn mit einem schwachen Atem-hauch eindringlich röcheln zu hören: – Carl … wo ist Carl?
    – Hier bin ich, Dad, sagte er, beugte sich vor und drückte die Hand seines Vaters.
    – Wie ist Australien? sagte Duncan mit pfeifendem Atem.
    – Ganz toll, war alles, was er sagen konnte. Das war ja kompletter Irrsinn. Wie ist Australien? Australien ist ganz toll.
    – Du solltest dich öfter melden. Deine Mutter …

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