Klebstoff
nicht auf die Leute in den anderen Betten, sie ging auf ihren Mann zu. Als sie bei Duncan ankam, hörte sie seinen flachen, abgerissenen Atem. Sie sah, wie seine kräftigen, blauen Venen am Handgelenk in seiner Hand verschwanden. Die Hand, die sie schon so oft gehalten hatte, seit er ihr den Verlobungsring über ihren Finger gestreift hatte, als sie zusammen im Botanischen Garten in Inverleith saßen. Sie war wie berauscht zu Fuß zurück zur Arbeit im Rechtsanwaltsbüro gelaufen und hatte jedes Mal weiche Knie bekommen, wenn sie den Ring betrachtete. Er fuhr mit dem Bus in die Fabrik zurück. Er sagte ihr, welche Songs in seinem Kopf spielten.
Nun war er an ein EKG angeschlossen, der Herzschlag wurde mit einer grünen, leuchtenden Linie vom Kathodenstrahl nachgezeichnet. Auf dem Schränkchen lagen ein paar Karten, die sie öffnete und neben ihn stellte:
GUTE BESSERUNG
SCHADE , DASS DU ANGESCHLAGEN BIST
und eine mit einer drallen Krankenschwester in kurzem Rock und Strapsen. Sie beugt sich über einen schwitzenden, sabbernden Mann im Bett, dessen Erektion eine deutlich sichtbare Zeltstange unter dem Laken bildet. Ein kleiner Doktor mit Brille sagt:
HMM , TEMPERATUR IMMER NOCH ETWAS ERHÖHT , MR . JONES , nur ist Jones ausgestrichen und EWART daneben gekritzelt worden. Innendrin steht die Widmung: »Von der Trottelbrigade, Gerry, Alfie, Craigy und Monty«.
Die Jungs aus der alten, längst geschlossenen Fabrik. Die Banalität dieser Karte – sie wirkte mehr als lächerlich. Bestimmt wussten sie nicht, wie ernst es war, ahnten die Tragweite nicht. Die Ärzte hatten ihr geraten, auf das Schlimmste gefasst zu sein.
Es war auch eine passendere Karte von Wullie und Sandra Birrell dabei: WIR DENKEN AN DICH .
Und Billy hatte angerufen, gefragt, ob er etwas tun könne. Er war ein lieber Junge, er verdiente gut, aber vergaß nie die Menschen, die er kannte.
Da war er. Billy. Er war hier. Mit Sandra. Und Avril. Und Carl!
Carl war da.
Maria Ewart drückte ihren Sohn an sich und war einen Moment besorgt, dass er so mager war. Er war dünner denn je.
Carl betrachtete seine Mutter. Sie war älter geworden und sah ganz erschlagen aus, was nicht überraschte. Er schaute auf das Bündel von verwelktem Fleisch und Knochen hinab, das sein Vater war. – Er ist noch in der Narkose, er schläft noch, erklärte sie.
– Wir leisten ihm ein bisschen Gesellschaft, wenn ihr zwei reden wollt, sagte Sandra. – Na los, geht mal nen Kaffee trinken, drängte sie Maria.
Maria und Carl gingen Arm in Arm hinaus. Carl wusste nicht, wer hier wen stützte: Er war komplett alle. Er wollte bei seinem Dad bleiben, aber er wollte auch mit seiner Mum reden. Sie gingen rüber zum Getränkeautomaten.
– Steht es so schlecht? fragte Carl.
– Er stirbt, Junge. Ich kann es nicht glauben, aber er stirbt, schluchzte sie.
– Mein Gott, sagte er, während er sie fest umarmte. – Es tut mir Leid, dass ich so egoistisch war. Ich war auf nem Gig, ich hab mich sofort auf den Weg gemacht, als Helena mir Bescheid gesagt hatte.
– Sie scheint nett zu sein, sagte seine Mutter. – Warum hab ich nicht vorher schon mal mit ihr gesprochen? Warum hast du sie aus unserem Leben ausgeschlossen, Junge? Warum hast du dich selber daraus ausgeschlossen?
Carl sah seine Mutter an und versuchte zu erkennen, ob er Enttäuschung oder bloßes Unverständnis in ihren Augen sah. Dann sah er es zum ersten Mal mit ihren Augen: Sie verhielt sich, als habe sie etwas falsch gemacht, als sei sie in irgendeiner Weise für alles verantwortlich, was er verbockte. Niemals; er konnte sich selbst in die Augen sehen und was das anbelangte sagen, dass er ein Selfmade-Wichser war. – Ich wollte bloß … ich wollte bloß … Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Es tut mir so Leid. Er hat von mir als Sohn nicht viel gehabt … oder du, sagte er wehleidig, es verblüffte ihn selbst, wie tief sein Selbstmitleid, sein Selbstekel ging.
In den Augen seiner Mutter sah er, dass sie aufrichtig meinte, was sie sagte. – Nein. Du bist der beste Sohn, den wir uns hätten wünschen können. Wir hatten unser eigenes Leben und haben dich ermutigt, dein Leben zu führen. Wir hätten uns nur gewünscht, dass du dich ein bisschen öfter bei uns meldest.
– … Ich weiß. Ich hab gedacht … man denkt immer, dafür wär später noch Zeit genug. Und wenn dann so was passiert, kapiert man, dass es so nicht läuft. Ich hätte mehr für euch da sein müssen.
Maria betrachtete ihren Sohn, der
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