Kleider machen Bräute
der Schneeoberfläche.
Dies war wirklich das surrealste Erlebnis ihres Lebens.
Bourdain winkte noch einmal zum Abschied und blieb stehen. Nun waren sie auf sich allein gestellt. Der Wind hatte sich gelegt, und es schneite nicht mehr so stark. Aber was bisher heruntergekommen war, hatte vollauf gereicht, und selbst Molly war klar, dass es Ewigkeiten dauern würde, bis die Straße wieder für den Verkehr freigeräumt sein würde.
Obwohl der kleine Motorschlitten so überladen war, war er ganz in seinem Element. Es brauste über gewaltige Schneewehen hinweg, die der Sturm zu monströsen, wellenartigen Gebilden aufgetürmt hatte, und kam zügig voran.
Nach etwa einer Viertelstunde hatten sie die Passhöhe erreicht.
»Alles klar?«, rief Simon nach hinten. »Gut festhalten!«
»Nicht zu schnell«, brüllte Pascal Molly ins Ohr, was Simon mit Sicherheit nicht hören konnte. Molly umklammerte Simons Taille noch fester, genoss seine angespannten Muskeln und presste sich so fest es nur ging an ihn. Pascal seinerseits hielt sie nur so fest umfasst wie eben nötig.
Das änderte sich jedoch schlagartig, als der Motorschlitten den Berg hinunterglitt. Er schoss los wie ein Rennpferd, dessen Startklappe sich gerade geöffnet hatte. Während ihnen der eisige Wind um die Ohren wehte und die schneebedeckten Tannen rechts und links zu grünweißen Klecksen verschwammen, sausten sie immer schneller bergab.
»Woooow!«
Molly stellte fest, dass sie so gejauchzt hatte. Obwohl sie geschützt hinter Simon saß, der die volle Ladung abbekommen musste, trieb ihr der eisige Wind Tränen in die Augen. Er steuerte den Schlitten wie ein Profi, immer über die flachsten Stellen, bremste vor Kurven ab und hielt beständig Ausschau nach möglichen Gefahren.
»Das ist unglaublich!«, schrie Molly begeistert, der ein Schauer nach dem anderen durch den Körper jagte. »Besser als jede Karussellfahrt!«
Sogar hinter sich hörte sie ersticktes Gelächter – auch Pascal hatte seinen Spaß. Sie fuhren immer weiter, legten sich in die Kurven und folgten der verschneiten Straße hinunter nach Varzo. Molly dachte an ihre Zeit im College. Sie hatte sich danach gesehnt, durch Europa zu reisen, und alle möglichen verschwommenen Vorstellungen von all den Abenteuern gehabt, die ihr das Leben in der Modebranche bescheren würde. Dass sie einmal mit einem Filmemacher, einem Modellkleid und Delametri Chevaliers rechter Hand auf einem Motorschlitten durch die Alpen rasen würde – darauf war sie freilich nie gekommen.
Auf dieser Seite des Tals war der Schnee längst nicht so hoch, und je tiefer sie kamen, desto häufiger sah Molly zu beiden Seiten der Straße nackte Felsen aus dem Schnee ragen.
Zudem wurde das dumpfe Rumpeln des Schlittens jetzt häufiger von einem kratzenden Geräusch unterbrochen, wenn sie über Gestein fuhren. Vorsichtig drehte sie den Kopf. Die Bahre hinter ihnen schleuderte hin und her und geriet manchmal gefährlich in Schräglage. Sie mussten langsamer fahren, sonst würde sie früher oder später umkippen.
»Simon!«, schrie sie.
Er hörte sie nicht.
»Mach langsamer!«
Plötzlich gab es ein abscheuliches, reißendes Geräusch, und Pascal schrie: »Arrêt!«
Entsetzt sah Molly sich um. Die Bahre hatte sich losgerissen, war seitlich ausgebrochen und schoss nun, als würde sie von einem eigenen Motor angetrieben, unaufhaltsam den Hang hinunter. In die falsche Richtung.
10. Kapitel
Stunden bis zur Hochzeit: 29
Kilometer bis zur Hochzeit: 429
S imon! Anhalten!«, schrie Molly ihm ins Ohr. Sie wagte nicht, die Hände von seiner Taille zu lösen, um ihm auf die Schulter zu tippen. Ein weiterer panischer Blick nach hinten verriet ihr, dass die Bahre immer schneller wurde und den Berg hinuntersauste, auf die Talsohle weit unter ihnen zu.
»Simon!«
Sie versuchte, fester zuzudrücken und an ihm zu ruckeln, ohne Erfolg. Sie überlegte sogar, mit ihrem Helm gegen seinen Rücken zu trommeln.
Pascal schrie ebenfalls, aber es war aussichtslos. Da kam Molly eine Idee. Sie löste ihren Griff so weit es ging, zog ihren linken Handschuh aus und schob die Hand unter Simons Pulli und T-Shirt und legte ihre eiskalten Finger auf seine warme, straffe Haut.
»Aaaahhh!« Als Simon bremste, brach der Schlitten zur Seite aus und kam ruckartig zum Stehen. »Sind Sie verrückt?«, schäumte er. »Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für dumme Streiche! Sie hätten uns alle umbringen können!«
»Sehen Sie doch! Da unten!« Molly zeigte mit
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