Kleider machen Bräute
Er lehnte an der Wand und las ein Buch auf seinem Handy. Molly musste daran denken, wie warm und wohlig es sich angefühlt hatte, als ihr Kopf auf seiner Brust ruhte.
Simon spürte, dass ihn jemand ansah. Er hob den Kopf und lächelte Molly an. Wieder spürte sie dieses Kribbeln im Bauch.
»Jetzt kommen ein paar schöne Ohrringe«, flüsterte ihre Mum. »Hier, sieh dir mal das Foto an.«
Molly schaute es sich an. Sie waren wirklich hübsch, kleine Bernsteintropfen in einer Silberfassung. Caitlin liebte Bernstein, es brachte ihren Teint zum Schimmern. Molly hatte ihrer Schwester gar kein Hochzeitsgeschenk gekauft. Sie hatte vorgehabt, in Paris etwas auf dem Flohmarkt zu besorgen. Und da waren sie und wurden als Nächstes versteigert. Molly konnte die Ohrringe nicht genau sehen, aber im hellen Licht des Auktionssaals schienen sie ihr ermutigend zuzuwinken.
Molly hob die Hand und stellte fest, dass sie ein Eröffnungsgebot von fünfzig Euro gemacht hatte.
Simon sah von seinem Buch auf. »Hatten Sie das vor?«
Sie nickte, ohne ihn anzusehen. »Geschenk für Caitlin.«
Molly hielt den Atem an. Niemand rührte sich. Der Auktionator versuchte, die Anwesenden in schnellem Italienisch zum Bieten zu animieren. Aber keiner tat es. Er hob den Auktionshammer.
»Sechzig!«
Eine Frauenstimme von hinten, die Hand erhoben.
»Siebzig!«, schrie Molly, sprang von ihrem Sitz und winkte dem Auktionator wie verrückt zu. Allmählich begeisterte sie sich für das hier. Gedämpftes Lachen war zu hören, und Molly setzte sich verlegen wieder hin.
Wieder rührte sich niemand. Molly versuchte den Auk tionator mit Geisteskräften zu zwingen, seinen Hammer fallenzulassen und auf sie zu deuten.
Und er tat es!
»Juchu!«, kreischte Molly, fiel ihrer Mutter um den Hals und drückte sie fest an sich. »Das perfekte Geschenk!«
Dann fiel ihr etwas ein. Sie hatte ja ihr ganzes Geld für den Kauf des Autos ausgegeben. So beugte sie sich zu ihrer Mutter und flüsterte ihr ins Ohr: »Äh … Mum?«
»Ja?«
»Könntest du mir bitte siebzig Euro leihen?«
Ihre Mutter lachte. »Natürlich, Liebes.«
Jetzt kamen nur noch fünf Objekte, bevor das Worth-Kleid an der Reihe war. Sie sahen zu, wie eine Puppenstube aufgerufen wurde. Sofort brach ein heftiger Bieterkrieg zwischen einem ungeheuer großen Mann mit Cowboyhut und einer älteren Dame aus. Molly glaubte schon, die beiden würden aufeinander losgehen, so feindselig waren die Blicke, die sie einander zuwarfen. Bis der Mann mit einem lauten Fluch und einer unhöflichen Geste schließlich aufgab. Die Dame blieb gefasst auf ihrem Platz sitzen, aber ihr Gesicht strahlte triumphierend.
Und dann sogen Molly und ihre Mutter hörbar die Luft ein.
»Sieh nur!«, zischte Molly. »Sieh nur, was als Nächstes kommt!«
»Ich sehe es«, flüsterte ihre Mutter zurück.
Es war eine Spieldose, handgeschnitzt und mit einem silbernen Verschluss. Sie hatte keine Ähnlichkeit mit der, die sie vor so vielen Jahren wütend auf den Boden geworfen hatte, aber als die Dame im Overall mürrisch den Deckel hochklappte, eine kleine Ballerina auftauchte und sich zu einem klimpernden Walzer drehte, dachte Molly, sie müsse in Tränen ausbrechen.
»Oh«, hauchte sie. »Ist sie nicht wunderschön!«
Ihre Mutter hob die Hand, und der Auktionator akzeptierte ihr Gebot. Nachdem ein anderer Bieter die Hand gehoben hatte, legte ihre Mutter nach. Das Ganze wiederholte sich, aber nach etwa einer Minute hatte ihre Mutter die Spieldose erworben.
»Gut gemacht«, flüsterte Molly, und ihre Wangen glühten vor Freude. Diese nette Geste ihrer Mutter hatte sie überrascht. Sie blinzelte eine Freudenträne weg.
Ihre Mutter lächelte sie an. »Caitlin«, flüsterte sie.
»Psst!«, zischte Pascal.
Molly kam sich vor, als hätte man sie geohrfeigt. Caitlin? Nach dem Gespräch, das ihre Mutter und sie vor wenigen Stunden geführt hatten? Die ganze Freude über die Ohrringe, das aufkeimende Vertrauen, seit sie einander das Herz ausgeschüttet hatten, verpuffte in der stickigen Luft des überfüllten Saals. Wie hatte sie das nur tun können?
Die Antwort lag auf der Hand, ärgerte sich Molly. Was ihre Mutter im Auto gesagt hatte, war alles nur Geschwätz gewesen, damit sie sich besser fühlte, Phrasen und Binsenweisheiten für eine kurzfristige Aussöhnung. Sie würde immer die tollpatschige, hoffnungslose Molly bleiben. Ihr würde nie vergeben werden, dass sie Caitlins Spieldose zerbrochen hatte, und sie würde nie so geliebt
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