Kleider machen Bräute
werden wie sie.
Damit musste sie sich ein für allemal abfinden. Molly rückte so weit wie möglich von ihrer Mutter ab, bis ihr Oberschenkel fest gegen den von Simon gepresst war. Der blickte kurz auf, machte jedoch keine Anstalten, sich zu rühren, damit sie mehr Platz hatte. Sein warmer Körper war nur ein kleiner Trost für ihre Enttäuschung.
»Mon Dieu!« Pascal sprang auf, und die mürrische Frau im Overall scheuchte die Leute, die ihr vorn im Weg standen, weg, um Platz für die Hauptattraktion zu schaffen – das Worth-Kleid.
Molly stand ebenfalls auf. Als das Kleid hereingebracht wurde, hielt sie den Atem an. Da kommt es …
Man hatte es einer Schaufensterpuppe angezogen, die von zwei kräftigen Männern in Overalls und mit Schutzhandschuhen hereingetragen und in der Mitte der Bühne abgestellt wurde.
Beim Anblick des Kleids zog Pascal ein Taschentuch heraus und tupfte sich die Stirn ab. Mollys Mutter erhob sich, um ihn zu stützen, denn einen Moment lang sah es so aus, als würde er vor Überwältigung ohnmächtig werden.
»In natura ist es noch schöner«, stieß er atemlos hervor und fächelte sich mit dem Programm Luft zu.
Es war wirklich wunderschön. Die schimmernde leuchtendgrüne Seide hatte die Farbe saftiger Frühlingswälder und schien während der vergangenen hundert Jahre kein bisschen verblasst zu sein. Die körpernahe Korsage endete in einem schmalen, betonten Taillenband und war mit silberfarbenen Paspeln abgesetzt, die ihrerseits mit Perlen bestickt waren. Es musste überwältigend ausgesehen haben, wie es in einem Ballsaal zu den Klängen eines Orchesters über die Tanzfläche rauschte und sich der Schein Tausender Kerzen darin fing …
Sogar aus der Entfernung konnte Molly erkennen, dass es makellose gearbeitet war. Die Ärmel waren in akkuraten Biesen an die Korsage gesetzt, und die ebenfalls mit silberfarbenen Paspeln eingefassten Manschetten waren mit Lilien bestickt, die sich bis zu den Ellbogen hinaufschlängelten. Sie waren die einzige verstohlene Anspielung auf den Jugendstil, die Molly erkennen konnte – und obwohl sie auf diesem Gebiet keine Expertin war, rührte es sie. Das Kleid vermittelte ihr den Eindruck, ein Vorreiter, ja, seiner Zeit voraus gewesen zu sein. Der Tellerrock ging am Rücken in eine kurze Schleppe über, die mit unschönen Staubtüchern vor dem rauen Schieferboden geschützt wurde. Zu gerne wäre Molly nach vorn gegangen, um es sich in allen Einzelhei ten anzusehen. Wie musste Pascal jetzt zumute sein? Kein Wunder, dass er es unbedingt haben wollte.
Mit einer Handbewegung versuchte sie, ihn auf sich aufmerksam zu machen.
»Die Dame dort vorn, zehntausend Euro!«
»Molly!«, schimpfte ihre Mutter »So viel kann ich dir nicht leihen.«
»Oje, schon wieder«, murmelte Molly und klemmte die Hände zwischen die Knie.
Simon blickte amüsiert auf und schaltete sein Handy aus, um zuzusehen.
Glücklicherweise hatte Pascal nichts gemerkt. Sein Arm schoss in die Höhe, und bevor er sich versah, bot er mit drei oder vier anderen Interessenten heftig um die Wette. Fünfzehntausend, sechzehntausend, siebzehn tausend …
Je höher die Gebote stiegen, desto stiller wurde es im Saal. Bei neunundvierzigtausend Euro waren schließlich nur noch Pascal und eine wildentschlossen wirkende Frau mit schwarzer Baskenmütze im Rennen.
Pascal hob die Hand.
»Fünfzigtausend!«, rief der Auktionator und zeigte auf ihn.
»Fünfzigtausendfünfhundert«, rief die Frau von ihrem Platz weiter vorn.
Pascal zögerte. Molly hatte die Fäuste geballt, die Knöchel traten weiß hervor. Sie feuerte Pascal innerlich an, weiterzumachen. Nach diesem Schätzpreis musste ihm doch klar gewesen sein, dass er mehr bieten musste, um es zu bekommen?
Der Auktionator blickte sich um Saal um, ob es weitere Gebote gab.
Stille.
Er hob schon den Hammer, da rief Pascal: »Einundfünfzigtausend!«
Applaus brandete auf. Alle drehten sich zu dem geheimnisvollen Mann mit dem verschwitzten Gesicht um. Molly hätte vor Freude am liebsten laut gejubelt. Stattdessen umklammerte sie Simons Knie. Der beugte sich gespannt nach vorn, legte seine Hand auf Mollys und drückte sie fest.
Mit einem erleichterten Lächeln, weil die Schätzsumme übertroffen worden war, sah sich der Auktio nator noch einmal im Saal um. Die Dame mit der Basken mütze schüttelte den Kopf, und der Auktionator hob erneut den Hammer.
»Cinquante-deux!«
Die dröhnende Stimme von ganz hinten sprach Französisch. Ein Raunen ging
Weitere Kostenlose Bücher