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Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Titel: Kleider machen Leute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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    nach Goldach zurückzukommen, dieselbe Straße gegen Seld-
    wyla hin, auf welcher er vor einigen Monaten hergewandert
    war. Bald verschwand er in der Dunkelheit des Waldes, durch
    welchen sich die Straße zog. Er war barhäuptig, denn seine
    Polenmütze war im Fenstersimse des Tanzsaales liegengeblie-
    ben nebst den Handschuhen, und so schritt er denn, gesenk-
    ten Hauptes und die frierenden Hände unter die gekreuzten
    Arme bergend, vorwärts, während seine Gedanken sich all-
    mählich sammelten und zu einigem Erkennen gelangten. Das
    erste deutliche Gefühl, dessen er inne wurde, war dasjenige
    einer ungeheuren Schande, gleich wie wenn er ein wirklicher
    Mann von Rang und Ansehen gewesen und nun infam gewor-
    den wäre durch Hereinbrechen irgendeines verhängnisvollen
    Unglückes. Dann löste sich dieses Gefühl aber auf in eine Art
    Bewußtsein erlittenen Unrechtes; er hatte sich bis zu seinem
    glorreichen Einzug in die verwünschte Stadt nie ein Vergehen
    zuschulden kommen lassen; soweit seine Gedanken in die
    Kindheit zurückreichten, war ihm nicht erinnerlich, daß er
    je wegen einer Lüge oder einer Täuschung gestraft oder ge-
    scholten worden wäre, und nun war er ein Betrüger geworden
    dadurch, daß die Torheit der Welt ihn in einem unbewachten
    und sozusagen wehrlosen Augenblicke überfallen und ihn zu
    ihrem Spielgesellen gemacht hatte. Er kam sich wie ein Kind
    vor, welches ein anderes boshaftes Kind überredet hat, von ei-
    nem Altare den Kelch zu stehlen; er haßte und verachtete sich
    jetzt, aber er weinte auch über sich und seine unglückliche
    Verirrung.
    Wenn ein Fürst Land und Leute nimmt; wenn ein Priester
    die Lehre seiner Kirche ohne Überzeugung verkündet, aber
    die Güter seiner Pfründe mit Würde verzehrt; wenn ein dün-
    kelvoller Lehrer die Ehren und Vorteile eines hohen Lehramtes
    innehat und genießt, ohne von der Höhe seiner Wissenschaft
    den mindesten Begriff zu haben und derselben auch nur den
    kleinsten Vorschub zu leisten; wenn ein Künstler ohne Tu-
    gend, mit leichtfertigem Tun und leerer Gaukelei sich in Mode
    bringt und Brot und Ruhm der wahren Arbeit vorwegstiehlt;
    oder wenn ein Schwindler, der einen großen Kaufmannsna-
    men geerbt oder erschlichen hat, durch seine Torheiten und
    Gewissenlosigkeiten Tausende um ihre Ersparnisse und Not-
    pfennige bringt, so weinen alle diese nicht über sich, sondern
    erfreuen sich ihres Wohlseins und bleiben nicht einen Abend
    ohne aufheiternde Gesellschaft und gute Freunde.
    Unser Schneider aber weinte bitterlich über sich, das heißt,
    er fing solches plötzlich an, als nun seine Gedanken an der
    schweren Kette, an der sie hingen, unversehens zu der ver-
    lassenen Braut zurückkehrten und sich aus Scham vor der
    Unsichtbaren zur Erde krümmten. Das Unglück und die Er-
    niedrigung zeigten ihm mit einem hellen Strahle das verlo-
    rene Glück und machten aus dem unklar verliebten Irrgänger
    einen verstoßenen Liebenden. Er streckte die Arme gegen die
    kalt glänzenden Sterne empor und taumelte mehr als er ging
    auf seiner Straße dahin, stand wieder still und schüttelte den
    Kopf, als plötzlich ein roter Schein den Schnee um ihn her
    erreichte und zugleich Schellenklang und Gelächter ertönte.
    Es waren die Seldwyler, welche mit Fackeln nach Hause fuh-
    ren. Schon näherten sich ihm die ersten Pferde mit ihren Na-
    sen; da raffte er sich auf, tat einen gewaltigen Sprung über den
    Straßenrand und duckte sich unter die vordersten Stämme
    des Waldes. Der tolle Zug fuhr vorbei und verhallte endlich in
    der dunklen Ferne, ohne daß der Flüchtling bemerkt worden
    war; dieser aber, nachdem er eine gute Weile reglos gelauscht
    hatte, von der Kälte wie von den erst genossenen feurigen
    Getränken und seiner gramvollen Dummheit übermannt,
    streckte unvermerkt seine Glieder aus und schlief ein auf dem
    knisternden Schnee, während ein eiskalter Hauch von Osten
    heranzuwehen begann.
    Inzwischen erhob auch Nettchen sich von ihrem einsamen
    Sitze. Sie hatte dem abziehenden Geliebten gewissermaßen
    aufmerksam nachgeschaut, saß länger als eine Stunde unbe-
    weglich da und stand dann auf, indem sie bitterlich zu wei-
    nen begann und ratlos nach der Türe ging. Zwei Freundinnen
    gesellten sich nun zu ihr mit zweifelhaft tröstenden Worten;
    sie bat dieselben, ihr Mantel, Tücher, Hut und dergleichen zu
    verschaffen, in welche Dinge sie sich sodann stumm verhüllte,
    die Augen mit dem Schleier heftig trocknend. Da man aber,
    wenn man

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