Kleider machen Leute
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nach Goldach zurückzukommen, dieselbe Straße gegen Seld-
wyla hin, auf welcher er vor einigen Monaten hergewandert
war. Bald verschwand er in der Dunkelheit des Waldes, durch
welchen sich die Straße zog. Er war barhäuptig, denn seine
Polenmütze war im Fenstersimse des Tanzsaales liegengeblie-
ben nebst den Handschuhen, und so schritt er denn, gesenk-
ten Hauptes und die frierenden Hände unter die gekreuzten
Arme bergend, vorwärts, während seine Gedanken sich all-
mählich sammelten und zu einigem Erkennen gelangten. Das
erste deutliche Gefühl, dessen er inne wurde, war dasjenige
einer ungeheuren Schande, gleich wie wenn er ein wirklicher
Mann von Rang und Ansehen gewesen und nun infam gewor-
den wäre durch Hereinbrechen irgendeines verhängnisvollen
Unglückes. Dann löste sich dieses Gefühl aber auf in eine Art
Bewußtsein erlittenen Unrechtes; er hatte sich bis zu seinem
glorreichen Einzug in die verwünschte Stadt nie ein Vergehen
zuschulden kommen lassen; soweit seine Gedanken in die
Kindheit zurückreichten, war ihm nicht erinnerlich, daß er
je wegen einer Lüge oder einer Täuschung gestraft oder ge-
scholten worden wäre, und nun war er ein Betrüger geworden
dadurch, daß die Torheit der Welt ihn in einem unbewachten
und sozusagen wehrlosen Augenblicke überfallen und ihn zu
ihrem Spielgesellen gemacht hatte. Er kam sich wie ein Kind
vor, welches ein anderes boshaftes Kind überredet hat, von ei-
nem Altare den Kelch zu stehlen; er haßte und verachtete sich
jetzt, aber er weinte auch über sich und seine unglückliche
Verirrung.
Wenn ein Fürst Land und Leute nimmt; wenn ein Priester
die Lehre seiner Kirche ohne Überzeugung verkündet, aber
die Güter seiner Pfründe mit Würde verzehrt; wenn ein dün-
kelvoller Lehrer die Ehren und Vorteile eines hohen Lehramtes
innehat und genießt, ohne von der Höhe seiner Wissenschaft
den mindesten Begriff zu haben und derselben auch nur den
kleinsten Vorschub zu leisten; wenn ein Künstler ohne Tu-
gend, mit leichtfertigem Tun und leerer Gaukelei sich in Mode
bringt und Brot und Ruhm der wahren Arbeit vorwegstiehlt;
oder wenn ein Schwindler, der einen großen Kaufmannsna-
men geerbt oder erschlichen hat, durch seine Torheiten und
Gewissenlosigkeiten Tausende um ihre Ersparnisse und Not-
pfennige bringt, so weinen alle diese nicht über sich, sondern
erfreuen sich ihres Wohlseins und bleiben nicht einen Abend
ohne aufheiternde Gesellschaft und gute Freunde.
Unser Schneider aber weinte bitterlich über sich, das heißt,
er fing solches plötzlich an, als nun seine Gedanken an der
schweren Kette, an der sie hingen, unversehens zu der ver-
lassenen Braut zurückkehrten und sich aus Scham vor der
Unsichtbaren zur Erde krümmten. Das Unglück und die Er-
niedrigung zeigten ihm mit einem hellen Strahle das verlo-
rene Glück und machten aus dem unklar verliebten Irrgänger
einen verstoßenen Liebenden. Er streckte die Arme gegen die
kalt glänzenden Sterne empor und taumelte mehr als er ging
auf seiner Straße dahin, stand wieder still und schüttelte den
Kopf, als plötzlich ein roter Schein den Schnee um ihn her
erreichte und zugleich Schellenklang und Gelächter ertönte.
Es waren die Seldwyler, welche mit Fackeln nach Hause fuh-
ren. Schon näherten sich ihm die ersten Pferde mit ihren Na-
sen; da raffte er sich auf, tat einen gewaltigen Sprung über den
Straßenrand und duckte sich unter die vordersten Stämme
des Waldes. Der tolle Zug fuhr vorbei und verhallte endlich in
der dunklen Ferne, ohne daß der Flüchtling bemerkt worden
war; dieser aber, nachdem er eine gute Weile reglos gelauscht
hatte, von der Kälte wie von den erst genossenen feurigen
Getränken und seiner gramvollen Dummheit übermannt,
streckte unvermerkt seine Glieder aus und schlief ein auf dem
knisternden Schnee, während ein eiskalter Hauch von Osten
heranzuwehen begann.
Inzwischen erhob auch Nettchen sich von ihrem einsamen
Sitze. Sie hatte dem abziehenden Geliebten gewissermaßen
aufmerksam nachgeschaut, saß länger als eine Stunde unbe-
weglich da und stand dann auf, indem sie bitterlich zu wei-
nen begann und ratlos nach der Türe ging. Zwei Freundinnen
gesellten sich nun zu ihr mit zweifelhaft tröstenden Worten;
sie bat dieselben, ihr Mantel, Tücher, Hut und dergleichen zu
verschaffen, in welche Dinge sie sich sodann stumm verhüllte,
die Augen mit dem Schleier heftig trocknend. Da man aber,
wenn man
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