Kleider machen Leute
weint, fast immer zugleich auch die Nase schneu-
zen muß, so sah sie sich doch genötigt, das Taschentuch zu
nehmen, und tat einen tüchtigen Schneuz, worauf sie stolz
und zornig um sich blickte. In dieses Blicken hinein geriet
Melchior Böhni, der sich ihr freundlich, demütig und lächelnd
näherte und ihr die Notwendigkeit darstellte, nunmehr einen
Führer und Begleiter nach dem väterlichen Hause zurück zu
haben. Den Teich Bethesda, sagte er, werde er hier im Gast-
hause zurücklassen und dafür die Fortuna mit der verehrten
Unglücklichen sicher nach Goldach hin geleiten.
Ohne zu antworten, ging sie festen Schrittes voran nach
dem Hofe, wo der Schlitten mit den ungeduldigen wohlge-
fütterten Pferden bereitstand, einer der letzten, welche dort
waren. Sie nahm rasch darin Platz, ergriff das Leitseil und die
Peitsche, und während der achtlose Böhni, mit glücklicher Ge-
schäftigkeit sich gebärdend, dem Stallknechte, der die Pferde
gehalten, das Trinkgeld hervorsuchte, trieb sie unversehens
die Pferde an und fuhr auf die Landstraße hinaus in starken
Sätzen, welche sich bald in einen anhaltenden muntern Ga-
lopp verwandelten. Und zwar ging es nicht nach der Heimat,
sondern auf der Seldwyler Straße hin. Erst als das leichtbe-
schwingte Fahrzeug schon dem Blick entschwunden war, ent-
deckte Herr Böhni das Ereignis und lief in der Richtung gegen
Goldach mit Hoho! und Haltrufen, sprang dann zurück und
jagte mit seinem eigenen Schlitten der entflohenen oder nach
seiner Meinung durch die Pferde entführten Schönen nach,
bis er am Tore der aufgeregten Stadt anlangte, in welcher das
Ärgernis bereits alle Zungen beschäftigte.
Warum Nettchen jenen Weg eingeschlagen, ob in der Ver-
wirrung oder mit Vorsatz, ist nicht sicher zu berichten. Zwei
Umstände mögen hier ein leises Licht gewähren. Einmal la-
gen sonderbarerweise die Pelzmütze und die Handschuhe
Strapinskis, welche auf dem Fenstersimse hinter dem Sitze
des Paares gelegen hatten, nun im Schlitten der Fortuna ne-
ben Nettchen; wann und wie sie diese Gegenstände ergriffen,
hatte niemand beachtet, und sie selbst wußte es nicht; es war
wie im Schlafwandel geschehen. Sie wußte jetzt noch nicht,
daß Mütze und Handschuhe neben ihr lagen. Sodann sagte
sie mehr als einmal laut vor sich hin: „Ich muß noch zwei
Worte mit ihm sprechen, nur zwei Worte!“
Diese beiden Tatsachen scheinen zu beweisen, daß nicht
ganz der Zufall die feurigen Pferde lenkte. Auch war es selt-
sam, als die Fortuna in die Waldstraße gelangte, in welche
jetzt der helle Vollmond hineinschien, wie Nettchen den Lauf
der Pferde mäßigte und die Zügel fester anzog, so daß diesel-
ben beinah nur im Schritt einhertanzten, während die Lenke-
rin die traurigen, aber dennoch scharfen Augen gespannt auf
den Weg heftete, ohne links und rechts den geringsten auffäl-
ligen Gegenstand außer acht zu lassen.
Und doch war gleichzeitig ihre Seele wie in tiefer schwerer
unglücklicher Vergessenheit befangen. Was sind Glück und
Leben! Von was hangen sie ab? Was sind wir selbst, daß wir
wegen einer lächerlichen Fastnachtslüge glücklich oder un-
glücklich werden? Was haben wir verschuldet, wenn wir durch
eine fröhliche gläubige Zuneigung Schmach und Hoffnungs-
losigkeit einernten? Wer sendet uns solche einfältige Trugge-
stalten, die zerstörend in unser Schicksal eingreifen, während
sie sich selbst daran auflösen wie schwache Seifenblasen?
Solche mehr geträumte als gedachte Fragen umfingen die
Seele Nettchens, als ihre Augen sich plötzlich auf einen läng-
lichen dunklen Gegenstand richteten, welcher zur Seite der
Straße sich vom mondbeglänzten Schnee abhob. Es war der
langhingestreckte Wenzel, dessen dunkles Haar sich mit dem
Schatten der Bäume vermischte, während sein schlanker Kör-
per deutlich im Lichte lag.
Nettchen hielt unwillkürlich die Pferde an, womit eine tiefe
Stille über den Wald kam. Sie starrte unverwandt nach dem
dunklen Körper, bis derselbe sich ihrem hellsehenden Auge
fast unverkennbar darstellte und sie leise die Zügel festband,
ausstieg, die Pferde einen Augenblick beruhigend streichelte
und sich hierauf der Erscheinung vorsichtig, lautlos näherte.
Ja, er war es. Der dunkelgrüne Samt seines Rockes nahm
sich selbst auf dem nächtlichen Schnee schön und edel aus; der
schlanke Leib und die geschmeidigen Glieder, wohl geschnürt
und bekleidet, alles sagte noch in der Erstarrung, am
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