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Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Titel: Kleider machen Leute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Haupt und sagte dann: „Wer
    sind Sie? Was wollten Sie mit mir?“
    „Ich bin nicht ganz so, wie ich scheine!“ erwiderte er trau-
    rig, „ich bin ein armer Narr, aber ich werde alles gutmachen
    und Ihnen Genugtuung geben und nicht lange mehr am Le-
    ben sein!“ Solche Worte sagte er so überzeugt und ohne allen
    gemachten Ausdruck, daß Nettchens Augen unmerklich auf-
    blitzten. Dennoch wiederholte sie: „Ich wünsche zu wissen,
    wer Sie eigentlich seien und woher Sie kommen und wohin
    Sie wollen?“
    „Es ist alles so gekommen, wie ich Ihnen jetzt der Wahr-
    heit gemäß erzählen will“, antwortete er und sagte ihr, wer er
    sei und wie es ihm bei seinem Einzug in Goldach ergangen.
    Er beteuerte besonders, wie er mehrmals habe fliehen wollen,
    schließlich aber durch ihr Erscheinen selbst gehindert worden
    sei, wie in einem verhexten Traume.
    Nettchen wurde mehrmals von einem Anflug von Lachen
    heimgesucht; doch überwog der Ernst ihrer Angelegenheit zu
    sehr, als daß es zum Ausbruch gekommen wäre. Sie fuhr viel-
    mehr fort zu fragen: „Und wohin gedachten Sie mit mir zu
    gehen und was zu beginnen?“ — „Ich weiß es kaum,“ erwi-
    derte er; „ich hoffte auf weitere merkwürdige oder glückliche
    Dinge; auch gedachte ich zuweilen des Todes in der Art, daß
    ich mir denselben geben wolle, nachdem ich — “
    Hier stockte Wenzel, und sein bleiches Gesicht wurde ganz
    rot.
    „Nun, fahren Sie fort!“ sagte Nettchen, ihrerseits bleich
    werdend, indessen ihr Herz wunderlich klopfte.
    Da flammten Wenzels Augen groß und süß auf, und er
    rief:
    „Ja, jetzt ist es mir klar und deutlich vor Augen, wie es ge-
    kommen wäre! Ich wäre mit dir in die weite Welt gegangen,
    und nachdem ich einige kurze Tage des Glückes mit dir ge-
    lebt, hätte ich dir den Betrug gestanden und mir gleichzeitig
    den Tod gegeben. Du wärest zu deinem Vater zurückgekehrt,
    wo du wohl aufgehoben gewesen wärest und mich leicht ver-
    gessen hättest. Niemand brauchte darum zu wissen; ich wäre
    spurlos verschollen. — Anstatt an der Sehnsucht nach einem
    würdigen Dasein, nach einem gütigen Herzen, nach Liebe le-
    benslang zu kranken,“ fuhr er wehmütig fort, „wäre ich einen
    Augenblick lang groß und glücklich gewesen und hoch über
    allen, die weder glücklich noch unglücklich sind und doch
    nie sterben wollen! O hätten Sie mich liegengelassen im kalten
    Schnee, ich wäre so ruhig eingeschlafen!“
    Er war wieder still geworden und schaute düster sinnend
    vor sich hin.
    Nach einer Weile sagte Nettchen, die ihn still betrachtet,
    nachdem das durch Wenzels Reden angefachte Schlagen ihres
    Herzens sich etwas gelegt hatte:
    „Haben Sie dergleichen oder ähnliche Streiche früher schon
    begangen und fremde Menschen angelogen, die Ihnen nichts
    zuleide getan?“
    „Das habe ich mich in dieser bitteren Nacht selbst schon
    gefragt und mich nicht erinnert, daß ich je ein Lügner gewe-
    sen bin! Ein solches Abenteuer habe ich noch gar nie gemacht
    oder erfahren! Ja, in jenen Tagen, als der Hang in mir entstan-
    den, etwas Ordentliches zu sein oder zu scheinen, in halber
    Kindheit noch, habe ich mich selbst überwunden und einem
    Glück entsagt, das mir beschieden schien!“
    „Was ist dies?“ fragte Nettchen.
    „Meine Mutter war, ehe sie sich verheiratet hatte, in Dien-
    sten einer benachbarten Gutsherrin und mit derselben auf
    Reisen und in großen Städten gewesen. Davon hatte sie eine
    feinere Art bekommen als die anderen Weiber unsers Dorfes
    und war wohl auch etwas eitel; denn sie kleidete sich und mich,
    ihr einziges Kind, immer etwas zierlicher und gesuchter, als
    es bei uns Sitte war. Der Vater, ein armer Schulmeister, starb
    aber früh, und so blieb uns bei größter Armut keine Aussicht
    auf glückliche Erlebnisse, von welchen die Mutter gerne zu
    träumen pflegte. Vielmehr mußte sie sich harter Arbeit hinge-
    ben, um uns zu ernähren, und damit das Liebste, was sie hatte,
    etwas bessere Haltung und Kleidung, aufopfern. Unerwartet
    sagte nun jene nun verwitwete Gutsherrin, als ich etwa sechs-
    zehn Jahre alt war, sie gehe mit ihrem Haushalt in die Resi-
    denz für immer; die Mutter solle mich mitgeben, es sei schade
    für mich, in dem Dorfe ein Tagelöhner oder Bauernknecht zu
    werden, sie wolle mich etwas Feines lernen lassen, zu was ich
    Lust habe, während ich in ihrem Hause leben und diese und
    jene leichten Dienstleistungen tun könne. Das schien nun das
    Herrlichste zu sein, was sich für uns ereignen

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