Kleider machen Leute
Mantel, dunklen schönen Haaren und mit
einer polnischen Mütze; es war niemand anders als der Graf
Strapinski, wie er an jenem Novembertage auf der Straße ge-
wandert und den verhängnisvollen Wagen bestiegen hatte.
Die ganze Versammlung blickte lautlos gespannt auf die
Gestalt, welche feierlich schwermütig einige Gänge nach dem
Takte der Musik umhertrat, dann in die Mitte des Ringes sich
begab, den Mantel auf den Boden breitete, sich schneidermä-
ßig darauf niedersetzte und anfing, ein Bündel auszupacken.
Er zog einen beinahe fertigen Grafenrock hervor, ganz wie
ihn Strapinski in diesem Augenblicke trug, nähete mit großer
Hast und Geschicklichkeit Troddeln und Schnüre darauf und
bügelte ihn schulgerecht aus, indem er das scheinbar heiße
Bügeleisen mit nassen Fingern prüfte. Dann richtete er sich
langsam auf, zog seinen fadenscheinigen Rock aus und das
Prachtkleid an, nahm ein Spiegelchen, kämmte sich und voll-
endete seinen Anzug, daß er endlich als das leibhafte Eben-
bild des Grafen dastand. Unversehens ging die Musik in eine
rasche mutige Weise über, der Mann wickelte seine Sieben-
sachen in den alten Mantel und warf das Pack weit über die
Köpfe der Anwesenden hinweg in die Tiefe des Saales, als
wollte er sich ewig von seiner Vergangenheit trennen. Hierauf
beging er als stolzer Weltmann in stattlichen Tanzschritten
den Kreis, hie und da sich vor den Anwesenden huldreich ver-
beugend, bis er vor das Brautpaar gelangte. Plötzlich faßte er
den Polen, ungeheuer überrascht, fest ins Auge, stand als eine
Säule vor ihm still, während gleichzeitig wie auf Verabredung
die Musik aufhörte und eine fürchterliche Stille wie ein stum-
mer Blitz einfiel.
„Ei ei ei ei!“ rief er mit weithin vernehmlicher Stimme und
reckte den Arm gegen den Unglücklichen aus, „sieh da den
Bruder Schlesier, den Wasserpolacken! Der mir aus der Arbeit
gelaufen ist, weil er wegen einer kleinen Geschäftsschwan-
kung glaubte, es sei zu Ende mit mir. Nun, es freut mich, daß
es Ihnen so lustig geht und Sie hier so fröhliche Fastnacht hal-
ten! Stehen Sie in Arbeit zu Goldach?“
Zugleich gab er dem bleich und lächelnd dasitzenden Gra-
fensohn die Hand, welche dieser willenlos ergriff wie eine
feurige Eisenstange, während der Doppelgänger rief: „Kommt,
Freunde, seht hier unsern sanften Schneidergesellen, der wie
ein Raphael aussieht und unsern Dienstmägden, auch der
Pfarrerstochter so wohl gefiel, die freilich ein bißchen überge-
schnappt ist!“
Nun kamen die Seldwyler Leute alle herbei und drängten
sich um Strapinski und seinen ehemaligen Meister, indem sie
ersterm treuherzig die Hand schüttelten, daß er auf seinem
Stuhle schwankte und zitterte. Gleichzeitig setzte die Musik
wieder ein mit einem lebhaften Marsch; die Seldwyler, sowie sie
an dem Brautpaar vorüber waren, ordneten sich zum Abzuge
und marschierten unter Absingung eines wohleinstudierten
diabolischen Lachchors aus dem Saale, während die Goldacher,
unter welchen Böhni die Erklärung des Mirakels blitzschnell
zu verbreiten gewußt hatte, durcheinanderliefen und sich mit
den Seldwylern kreuzten, so daß es einen großen Tumult gab.
Als dieser sich endlich legte, war auch der Saal beinahe leer;
wenige Leute standen an den Wänden und flüsterten verlegen
untereinander; ein paar junge Damen hielten sich in einiger
Entfernung von Nettchen, unschlüssig, ob sie sich derselben
nähern sollten oder nicht.
Das Paar aber saß unbeweglich auf seinen Stühlen gleich
einem steinernen ägyptischen Königspaar, ganz still und ein-
sam; man glaubte den unabsehbaren glühenden Wüstensand
zu fühlen.
Nettchen, weiß wie ein Marmor, wendete das Gesicht
langsam nach ihrem Bräutigam und sah ihn seltsam von der
Seite an.
Da stand er langsam auf und ging mit schweren Schritten
hinweg, die Augen auf den Boden gerichtet, während große
Tränen aus denselben fielen.
Er ging durch die Goldacher und Seldwyler, welche die
Treppen bedeckten, hindurch wie ein Toter, der sich gespen-
stisch von einem Jahrmarkt stiehlt, und sie ließen ihn selt-
samerweise auch wie einen solchen passieren, indem sie ihm
still auswichen, ohne zu lachen oder harte Worte nachzuru-
fen. Er ging auch zwischen den zur Abfahrt gerüsteten Schlit-
ten und Pferden von Goldach hindurch, indessen die Seldwy-
ler sich in ihrem Quartiere erst noch recht belustigten, und
er wandelte halb unbewußt, nur in der Meinung, nicht
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