Kleine Abschiede
»Joel sagt, er muß.« Es kam ihr komisch vor, daß sie
Joel vor Ellie so selbstverständlich erwähnte. Hastig erzählte sie weiter: »Er
hat die Anzahlung schon überwiesen, sagte er, und außerdem kann ich nicht auf
ihn aufpassen, weil ich nicht da bin. Ich mache Urlaub.«
»Tatsächlich? Wo?«
»Ocean City, zwei Wochen Mitte
Juli. Belle Flint hat es arrangiert, sie hat dort eine Freundin, die ein Motel
hat.«
»Da müssen wir beide uns
unbedingt sehen«, meinte Ellie, »zum Essen in meinem Lieblingsrestaurant. In
Ocean City bin ich andauernd!«
Offensichtlich glaubte sie
nicht mehr, daß Delia Joels Freundin war. Delia fragte sich, wieso? Lag ihr
Sinneswechsel daran, daß sie Delia nun näher kannte?
Ehrlich gesagt, war Delia
darüber ein bißchen enttäuscht.
* * *
Sie träumte, sie traf Sam in
Senior City. Er stand in seinem weißen gestärkten Kittel draußen vor der
Doppeltür, die Hände in den Taschen, und sie ging auf ihn zu und sagte
aufreizend munter: »Bei den Millers habe ich mir ganz allein ein richtig großes
Fahrrad aus Büroklammern gebaut.«
Er sah sie nachdenklich an.
»Ein Fahrrad, das
funktioniert?«
»Nein, das nicht.«
Beim Erwachen blinzelte sie
noch, weil das Sonnenlicht sich in seiner Brille gespiegelt hatte. Er hatte ein
Stethoskop dabei gehabt, erinnerte sie sich, locker um den Hals gelegt, wie ein
kleines Handtuch. Er trug kein Stethoskop mehr um den Hals, seit der ersten
Woche, als er für ihren Vater arbeitete. Typisch für junge Ärzte, und Sam war
ja damals wirklich ganz neu, trotz seines Alters, denn er hatte sein langes
Studium gerade erst hinter sich. Aber so streng und abschätzend hätte er sie
damals beim Kennenlernen nicht angesehen.
Oder doch?
Vielleicht war er schon immer
so gewesen. Vielleicht hatte Adrian recht: Was dich später am meisten stört,
ist genau, was dich anfangs besonders anzieht.
* * *
Für ihre Reise ans Meer kaufte
sie einen Koffer — nur einen billigen aus dem kleinen Kaufhaus, gerade groß
genug, daß ihre Strandtasche hineinpaßte. Belle fuhr sie eines Samstagsfrüh.
Noah war noch da, als Belle draußen hupte (gegen Mittag fuhr er ins Zeltlager),
und Delia umarmte ihn schnell zum Abschied, ohne daß er sich wehren konnte. Zu
Joel sagte sie: »Vergessen Sie bitte nicht, Vernon zu füttern.«
»Wer ist Vernon?«
Einen Augenblick verstand sie
seine Frage nicht. Dann berichtigte sie sich: »Oh! Ich meine George.« Dumm von
ihr: George und Vernon ähnelten sich überhaupt nicht. Sie sagte: »George, die
Katze!«, als hätte Joel etwas verwechselt. »Also, bis bald«, sagte sie zu ihm
und eilte hinaus; der Koffer schlug ihr gegen’s Schienbein.
Belle trug eine
überdimensionale Sonnenbrille, die irgendwie umgestülpt wirkte, weil die Bügel
tief unten seitlich angesetzt waren. »Ich habe den schlimmsten Kater aller
Zeiten«, eröffnete sie Delia. »Von Champagner habe ich für den Rest meines
Lebens die Nase voll.«
»Du hast Champagner getrunken?«
»Allerdings. Eine ganze
Flasche; Horace hat mir gestern abend einen Heiratsantrag gemacht.«
»Oh, Belle!«
»Aber nur, weil er wegen seiner
Allergie nichts trinken darf«, erklärte Belle. »Hat einfach dagesessen und
zugesehen, wie ich das Zeug runtergluckere, jeden Schluck hat er mit seinen
Hundeaugen verfolgt. Ja, so ist das mit uns beiden. Immerhin, war doch eine
nette Geste. Champagner, ein Dutzend Rosen und ein Diamant: das Übliche.« Sie
hob ihre linke Hand vom Lenkrad, und ein kleines glitzerndes blinkendes Nichts
kam zum Vorschein. Dann steuerte sie den Wagen auf die Straße. »Soweit ich mich
erinnern kann, habe ich mein Jawort gegeben. Denk nur: Belle Lamb. Könnte aus
‘nem Comic stammen, ein Geräusch: Blam!« Sie verzog keine Miene hinter den
dunklen Brillengläsern, doch um ihren Mund war etwas Behagliches, Sattes.
»Jetzt muß ich dann wohl«.
»Möchtest du denn nicht?«
»Na, ja. Klar.« Sie bog in die
380 ein. »Ich mag ihn. Oder liebe ihn, wahrscheinlich. Immerhin: wenn er sich
beim Einsteigen in mein Auto den Kopf stößt, zieht sich jedesmal mein Magen
zusammen. Meinst du, das können wir Liebe nennen?«
Delia überlegte noch, als Belle
schon weiterredete. »Aber trotzdem, Dee: die meisten Leute heiraten, weil sie
beschlossen haben, daß sie fällig sind. Ich meine, selbst wenn sie noch nicht
wissen, wen. Dann suchen sie sich eben jemanden. Eigentlich sind diese Ehen
arrangiert wie in manchen fremden Ländern — nur, daß die Braut und
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