Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
Vom Netzwerk:
dem traurigen Beispiel ihrer
Mutter folgte. Und auch da konnte sie nicht widersprechen. Sie sagte: »Ich
glaube, jetzt mache ich mal Schluß.«
    »Oh. Gut. Auf Wiedersehen«,
sagte er.
    Nachdem sie eingehängt hatte, kam
ihr die Idee, daß er andererseits vielleicht auch nur meinte, Susie wäre in der
Praxis eine Katastrophe. Schließlich hatte sie wirklich ganz und gar kein
Organisationstalent. Anders als Delia, deren starke Seite es war. Hatte er das
womöglich gemeint?
     
    * * *
     
    In ihrem Brief fügte sie eine
Bitte hinzu, die sie vorher bei Sam nicht erwähnt hatte. Wenn du heiratest, schrieb sie, egal wie, darf ich dann kommen? Ich mache dir keine Vorwürfe,
wenn nicht, aber...
    Sie schrieb am gleichen
Nachmittag, benutzte den Schreibtisch im Familienzimmer, suchte sich eine Zeit
aus, in der sie das Haus für sich hatte. Doch bevor sie fertig war, kam Joel
zurück. Er sagte: »Oh, da sind Sie.« Dann stand er eine Weile da, ließ die
Münzen tief in seiner Tasche klimpern. Schließlich hörte sie auf zu schreiben
und sah zu ihm hoch.
    »Gibt’s was Bestimmtes?« fragte
sie.
    »Nein, nein«, sagte er und
ging, verzog sich in einen anderen Teil des Hauses. Doch kaum war sie mit dem
Brief fertig, kam er wieder. Wahrscheinlich hatte er gehört, wie sie angefangen
hatte, das Abendessen zu bereiten. Er stand in der Küchentür, ließ wieder die
Münzen klimpern. »Ich habe Sie heute auf der Weber Street gesehen«, sagte er.
    »Weber Street?«
    »Sie haben telefoniert.«
    »Ach.«
    »Wissen Sie, Sie können gern
unser Telefon benutzen«, sagte er.
    Wie in einem Schlaglicht konnte
Delia sich durch fremde Augen sehen: wie sie über den Hörer gekauert dastand,
ihr Ohr mit einer Hand abschirmte. Sie mußte lachen. Die geheimnisvolle Fremde
schlägt wieder zu. Sie sagte: »Oh, also, das war nur... mir war plötzlich etwas
eingefallen, mehr nicht.«
    Er wartete, hoffte wohl auf
mehr, doch sonst sagte sie nichts.
    Manchmal fiel Delia etwas an
Joel auf — wie seine Muskeln auf dem Unterarm hervortraten, oder wie lässig der
Rücken seiner Anzugjacke saß — , dann fühlte sie sich innerlich so angezogen,
sie mußte sich ins Gedächtnis rufen, daß sie diesen Mann kaum kannte.
Eigentlich redeten sie kaum miteinander. Seit er ihren Knöchel bandagiert
hatte, schienen sie schweigsam und schüchtern miteinander. Und außerdem durften
sie Noah nicht vergessen.
    Der aufmerksame, mißtrauische
Noah! Immer lag er auf der Lauer, suchte in ihren Gesichtern Anzeichen von
Schuldgefühlen. Einmal abends, als Joel und Delia von einem Essen der
Nachhilfelehrer nach Hause kamen (Potluck-Party: die meisten Frauen saßen
sinnend vor ihren eigenen Gerichten), stand er mit verschränkten Armen an der
Haustür und wartete. »Warum wart ihr so lange weg?« wollte er wissen. »Das
Essen sollte um neun zu Ende sein. Jetzt ist es Viertel vor zehn, verflixt, und
die Brookses wohnen nur fünf Minuten von hier!«
    Eigentlich kein Wunder: im
Oktober wurde er dreizehn. Kein leichtes Alter, wie Delia nur zu gut wußte.
Erste Anzeichen gab es schon. Zum Beispiel hatte er sich geweigert, die Sachen
anzuziehen, die sie ihm im Frühjahr gekauft hatte. Und dann wollte er, daß sie
von jetzt an seine Wäsche im Flur ließ und nicht mehr in sein Zimmer kam. Und
eines Morgens fragte er: »Mußt du eigentlich immer dieses Stranddings zum
Frühstück tragen? Besitzt du keinen Bademantel, wie normale Leute?«
    Ja, es war klar, wohin er sich
entwickelte.
    »Er wird plötzlich so groß;
letztens wollte ich ihm einen Kuß geben, da war sein Gesicht auf gleicher Höhe
wie meins«, stellte Ellie fest. (Die beiden unterhielten sich jetzt oft am
Telefon, bevor Delia Noah abholte.) »Bei jedem Wiedersehen hat er sich
irgendwie verändert! Und im Autoradio hört er sich ständig diese schreckliche
Musik an, Sänger, die sich anhören, als stünden sie einfach da und tratschten;
reine Glücksache, daß man als Zuhörer mal ein, zwei Worte kapiert.«
    »Und er meint, er gründet bald
eine Rockband«, erzählte Delia. »Er und Kenny Moss.«
    »Aber er spielt doch gar kein
Instrument!«
    »Keine Ahnung! Den Namen haben
sie schon: Hat deine Mutter Kinder?«
    »So soll die Band heißen?«
    »Sagt er.«
    »Kapier’ ich nicht«, sagte
Ellie.
    »Soll man auch nicht! Und Sie
wissen sicher, daß er nicht ins Zeltlager will!«
    »Er geht doch so gern hin!«
    »Er findet es babymäßig.«
    »Was macht er statt dessen?«
    »Oh, er geht hin, ob er will
oder nicht«, meinte Delia.

Weitere Kostenlose Bücher