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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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froh, daß er
Sie hat. Und Nachhilfe geben Sie auch! Sie unterrichten den Jüngsten von
Brewsters. Sonst klagt Mr. Miller immer, daß er nicht genug
Mathe-Nachhilfelehrer hat.«
    Sie kam sich vor wie die Neue
in der Klasse. Doch sie reagierte höflich, hörte nicht auf zu lächeln und
schwenkte die Teekanne wie ihre Eintrittskarte. Ja, danke, Bay Borough gefiel
ihr sehr, und Noah machte sich gut, und wahrscheinlich lernte sie von ihren
Schülern mehr als die von ihr. Das Übliche. Sie kannte die Antworten im Schlaf.
Joel stand inzwischen am anderen Ende des Raums und unterhielt sich mit zwei
Frauen, nickte von Zeit zu Zeit nachdenklich und runzelte die Stirn. Und als
sie mit einer Schale Kekse kam, lobte er: »Sie machen das fabelhaft, Delia.«
    »Danke«, sagte sie lächelnd.
    »Ich glaube, dies ist der beste
Tee, den wir je veranstaltet haben.«
    »Oh! Also der Zitronenkuchen
kommt von Ellie; Ellie war so freundlich — «
    Dann fragte eine der Frauen
Joel, was für den Herbstbasar geplant sei, und Delia floh in die Küche.
    Sie räumte auf, wischte die
Arbeitsplatte ab, stellte Geschirr in die Spülmaschine. Der Kater hatte sich
unterm Tisch verkrochen, und sie lockte ihn hervor, kraulte ihn und kratzte ihn
hinter den Ohren. Eine Zeitlang beobachtete sie, wie der Minutenzeiger der Wanduhr
vorrückte: achtzehn nach fünf, neunzehn nach fünf, zwanzig nach fünf. Zeit für
die Gäste, daran zu denken, daß sie zum Abendessen nach Hause gehen mußten.
Tatsächlich hörte sie, wie das Stimmengewirr anschwoll — es klang nach
Abschied.
    »Hatte ich keine Handtasche?«
    »Hat einer meinen Schlüsselbund
gesehen?«
    Und dann: »Wo steckt Delta? Ich
würde Delia gern auf Wiedersehen sagen.«
    Sie ließ George vom Schoß und
trat noch einmal in Erscheinung, begleitete alle zur Tür. (Ich habe mich auch
gefreut, Sie kennenzulernen. Natürlich, das Rezept können Sie gern bekommen.)
Dann kehrte sie ins Eßzimmer zurück, Joel stöpselte die Kaffeemaschine aus,
während die Frau, die immer am längsten blieb (bei jeder Einladung gab es
eine), umständlich die sauberen und benutzten Löffel auseinandersortierte.
»Bitte«, bat Delia sie, »lassen Sie doch. Ich habe da mein System.« Wie schnell
sie die alten Wendungen wieder parat hatte: Ich habe da mein System. Lassen
Sie das meine Sorge sein. Das macht doch nichts.
    Die Frau machte keine Anstalten
zu gehen, stand eine Weile da, wühlte in ihrer Handtasche, als wäre dort der
Hinweis versteckt, wohin als nächstes. Sie hatte Drillinge, hatte Delia
mitbekommen — alles Jungen, die gerade den Führerschein machten. Verständlich,
daß es sie nicht nach Hause zog. Schließlich sagte sie: »Also, danke, Ihnen
beiden. Das hat mir gutgetan.« Sie strahlte Joel an und sagte zu Delia: »Ist er
nicht hilfsbereit! Also, wenn ich meinen Mann bitte abzuräumen, lacht er mich
aus. Der grinst und verschwindet in der Kneipe. Bei uns läuft das nicht so
idealistisch.«
    Joel wartete, bis sie fort war,
dann schimpfte er: »Idealistisch!« wiederholte er. »Deprimierend, finden Sie
nicht auch?«
    Delia verstand nicht ganz,
worauf er hinauswollte. (Wenigstens, dachte sie, hatte er nicht begriffen, daß
die Frau sie offensichtlich für ein Paar hielt.) Sie stapelte die Tassen und
trug sie in die Küche zurück, packte sie in die Spülmaschine.
    »Wissen Sie, was passieren
wird?« meinte Joel. Er stellte die Kaffeemaschine auf die Arbeitsfläche. »Nach
und nach sagen immer mehr Leute idealistisch anstelle von ideal, weil sie
glauben, es sei die Edelausgabe des gleichen Wortes; so wie sie glauben
simplistisch ist simpel, nur vornehmer. Und über kurz oder lang taucht dieser
Gebrauch im Lexikon auf, und es steht nicht mal ›unüblich‹ daneben.«
    »Vielleicht wollte sie wirklich
idealistisch sagen«, entgegnete Delia. »Vielleicht meinte sie, daß ihr Mann
kein Idealist ist.«
    »Nein, nein, ich weiß, Sie
meinen es gut, Delia, aber sie meinte mit Sicherheit ›ideal‹. Alles ist anders
geworden«, sagte Joel. »Eines Tages kennen wir unsere eigene Sprache nicht mehr
wieder.«
    Sie sah zu ihm hinüber. Er
wickelte das Kabel um die Kaffeemaschine, obwohl sie weder leer noch
abgewaschen war. »Ja, ich weiß, das beunruhigt Sie am meisten«, bestätigte sie
ihn.
    »Hmm?«
    »Weniger die Grammatikfehler —
oder höchstens die ganz dicken: wem und wen. Das Neue stört Sie, die
Veränderung. ›Speichern‹ und ›mental‹ und ›Beziehungskiste‹.«
    Joel schüttelte sich angewidert.
Zu spät

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