Kleine Abschiede
Sherryglas mit der pelzigen Eisschicht
außen und das unruhige raumgreifende Hin und Her ihrer runden, mittleren
Schwester neben ihr.
Auf einem Ast über ihr
imitierte die verrückte Drossel aus der Nachbarschaft einen Einbrecheralarm.
»Doi! Doi! Doi!« sang sie in höchsten Tönen, bis ein von Süden nahender Schwall
Rockmusik sie verstummen ließ. Junge Leute, offensichtlich — eine Wagenladung
voll. Delia hörte ihr Hupen und Lachen lauter werden. Selbst Roland Park war
nicht vollkommen sicher zu dieser Tageszeit, ging ihr durch den Kopf. Außerdem
würde sich niemand von ihrem Morgenmantel täuschen lassen. Sie lief im
Nachthemd herum, genaugenommen. Hastig bog sie rechts in eine schmalere, dunklere
Straße und hielt sich dicht an eine Buchsbaumhecke, von deren Schatten ihr
Schatten verschluckt wurde.
Sam war jetzt sicher wieder im
Bett, und seine Hose hing ordentlich über dem Schaukelstuhl. Und die Kinder
wußten nichts von ihrer Abwesenheit. Deren Pläne waren so unüberschaubar und
unterschiedlich, sie merkten es vielleicht tagelang nicht.
Was für ein Leben führte sie,
wenn die Telefonate der vergangenen Woche genausogut von dieser Woche hätten
sein können?
Sie ging schneller, hörte die
Wagenladung Musik hinter sich verebben. Sie erreichte die Boulton Road,
überquerte die Straße und bog links ein, und den Bruchteil einer Sekunde
später, Bumm! stieß sie mit jemandem zusammen. Sie lief schnurstracks in etwas
Langes, Großes, Knochiges, in warmen Flanell Gehülltes. »Oh!« sagte sie und
wich erschrocken zurück, ihr Herz hämmerte, und irgendwie war plötzlich auch
ein Hund da, ein zotteliger Jagdhund bellte in Kniehöhe.
»Butch! Sitz!« befahl der Mann.
»Ist alles in Ordnung?« fragte er Delia.
Delia sagte: »Adrian?«
Im Halbdunkel schien er ohne
Farbe, doch sie erkannte sein schmales Gesicht mit den hervorspringenden
Backenknochen. Sie fand seinen Mund breiter und voller, ausgeprägter, als sie
sich vorgestellt hatte, und fragte sich, wie sie so etwas Wichtiges vergessen
konnte. »Adrian, ich bin’s, Delia«, sagte sie. Der Hund bellte immer noch. Sie
sagte: »Delia Grinstead? Aus dem Supermarkt?«
»Delia«, sagte Adrian. »Meine
Retterin!« Er lachte, und der Hund verstummte. »Was machen Sie denn hier?«
»Sie sagte: Oh, ich...« und
dann lachte sie auch, sah hinunter auf ihren Morgenmantel und strich ihn mit
beiden Händen glatt. »Ich konnte einfach nicht schlafen«, sagte sie.
Sie war erleichtert, daß er
auch nicht richtig angezogen war. Er trug einen dunklen Bademantel und einen
hellen Schlafanzug. An den Füßen hatte er Sportschuhe, keine Socken. »Wohnen
Sie hier in der Nähe?« fragte sie ihn.
»Gleich hier«, sagte er und
deutete auf ein Dickicht wuchernder Berberitzenbüsche. Dahinter erspähte Delia
ein Verandalicht und weiße Holzschindeln. »Ich bin aufgestanden, weil Butch vor
die Tür mußte«, sagte er. »Das ist sein neues Hobby: weckt mich zu
nachtschlafender Zeit und will raus.«
Als sein Name fiel, setzte
Butch sich und grinste zu ihr hoch. Delia beugte sich vor und gab seiner
Schnauze einen schüchternen Stups. Sie spürte seinen Atem warm und feucht an
ihren Fingern. »Ich bin damals mit Ihren Lebensmitteln davongefahren«, sagte
sie in Richtung Hund. »Ich habe mich deshalb richtig geschämt.«
»Lebensmitteln?« fragte Adrian.
»Ihr Orzo und Ihre Rotini...«
Sie richtete sich auf und sah ihn an. »Erst wollte ich Ihre Adresse ausfindig
machen und sie vorbeibringen.«
»Oh....Orzo? Na, macht nichts«,
erklärte er. »Ich bin nur dankbar, daß Sie mir so geholfen haben. Sie haben
sicher gedacht, ich bin ein komischer Kerl, stimmt’s.«
»Nein, ganz bestimmt nicht! Es
hat Spaß gemacht«, sagte sie.
»Verstehen Sie, manchmal möchte
man sich einfach, na ja, vor jemandem keine Blöße geben.«
»Sicher«, sagte sie. »Ich
sollte eine Firma gründen: Schein und Sein, Gesellschaft mit beschränkter
Haftung.«
»Rent-a-date«, schlug Adrian
vor. »Schwindelagentur.«
»Mit Blondinen als
Ersatzehefrauen und Footballberühmtheiten, die Mauerblümchen zu Abschlußbällen
ausführen — «
»Und wunderschönen Frauen in
Schwarz, die bei Beerdigungen weinen«, sagte Adrian.
»Oh, warum gibt’s so etwas noch
nicht?« fragte Delia. »Nichts ist doch schlimmer als... na; als die kalte Wut,
die Wut und der verletzte Stolz, wenn jemand gekränkt oder beleidigt oder für
dumm...«
Schon gut. Sie bremste sich.
Adrian betrachtete sie eigenartig eindringlich; sie
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