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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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bewußt
übertrieben, damit er lachte. Sie hatte nie das Alter ihrer Kinder erwähnt. Er
hatte auch nicht danach gefragt, denn wie die meisten kinderlosen Leute schien
er ahnungslos, wieviel Raum in ihrem Leben die Kinder beanspruchten.
    Außerdem hatte er ein etwas
schiefes Bild von ihrem Ehemann. Aus manchen seiner Bemerkungen ging hervor,
daß er sich Sam als bulligen Athleten vorstellte (er joggte), der obendrein
wahrscheinlich eifersüchtig war. Und Delia hatte ihn nicht korrigiert.
    Sie brauchte die beiden Männer
nur zusammenzubringen — Adrian zum Abendessen einladen, sagen wir, als
Strohwitwer, der sich selbst versorgen mußte — , und die Situation hätte alle
Dramatik verloren. Sam hätte gelästert und ihn »deinen Verehrer Bly-Brice«
genannt; die Kinder hätten die Augen gerollt, wenn sie zu lange mit ihm telefonierte.
Doch Delia machte keine Anstalten, ein solches Treffen zu arrangieren. Sie
hatte vor keinem Familienmitglied auch nur seinen Namen erwähnt. Und als
Adrians Hände vom Kragen auf ihre Schultern glitten, sie näherzogen, wehrte sie
sich nicht, sondern schob den Kopf zurück und legte ihn an seine Brust. »Du
bist so klein«, sagte er. Sie hörte die Stimme in seinem Brustkasten rumpeln.
»Du bist so klein und niedlich und zierlich.«
    Verglichen mit seiner Frau,
vermutlich, dachte sie; und richtete sich bei der Vorstellung kerzengerade auf.
Sie ließ ihn stehen und ging weiter, ordnete geschäftig die Seiten. Sie
umkreiste das Bett (Rosemarys Bett! mit einer ziemlich schäbigen Satindecke)
und näherte sich dem Schrank. »Was ich gern wüßte«, sagte sie nach hinten gewandt,
»kannst du dich damit wirklich ernähren? So eine Zeitung wie deine hat einen
begrenzten Leserkreis, oder?«
    »Oh, sie deckt nicht einmal die
Unkosten«, erklärte Adrian leichthin. »Ich muß sicher bald dichtmachen. Mir
etwas Neues einfallen lassen. Aber daran bin ich gewöhnt. Hiervor habe ich die
Computer-Baseball-Nachrichten herausgegeben.«
    Der Schrank war gefüllt mit
Rosemarys Sachen — Oberteile, dann Kleider, dann Hosen, ordentlich aufgereiht
von kurz nach lang — und in gleichen Abständen, nicht zusammengedrückt wie in
Delias Schrank. Wie Adrian erzählte, hatte Rosemary ihre gesamte Habe, als sie
ging, zurückgelassen. Sie war fortgegangen, wie sie war, im schwarzen
Seidenoverall, die flache schwarze Tasche unter den Arm geklemmt. Wieso fand
Delia das so imponierend? Es war nicht das erste Mal, daß sie fasziniert vor
Rosemarys Schrank stand.
    »Und davor«, sagte Adrian,
»habe ich alle drei Monate eine Zeitschrift für M.A.S.H. -Fans
herausgegeben. Er stand wieder hinter ihr. Er streckte den Finger aus und strich
über ihren Ellenbogen.
    Delia sagte: »Wovon habt ihr
die ganze Zeit gelebt?«
    »Also, Rosemary hat ein bißchen
geerbt.«
    Sie schloß die Schranktür. Sie
sagte: »Wußtest du das, bevor du sie geheiratet hast?«
    »Wieso fragst du?«
    »Ich überlege manchmal, ob Sam mich
geheiratet hat, weil mein Vater die Praxis hatte.«
    Sie hätte es ihm nicht erzählen
sollen. Bestimmt dachte Adrian jetzt: Ja, sie ist ganz schön bieder, und
außerdem hat sie rauhe Ellenbogen.
    Doch er lächelte und sagte: »Ich
an seiner Stelle hätte dich wegen deiner Sommersprossen geheiratet.«
    Sie ging hinüber zum Bett, zu
Rosemarys Seite. Daß es Rosemarys Seite war, wußte sie, weil ein mundgeblasener
Parfumflakon neben der Lampe stand. Zuerst legte sie Dr. Adwaters Artikel auf
die Nachttischplatte und dann, als wäre dies der logische nächste Schritt,
öffnete sie die kleine Schublade darunter. Sie schaute versonnen in ein
Sammelsurium von Nagelscheren, Feilen und Nagellackflaschen.
    Was für ein passender Name,
Rosemary! Wie anspruchsvoll, nicht so brav, harmlos und langweilig. Keine
Sommersprossen.
    Adrian tauchte hinter ihr auf.
Er drehte sie zu sich und nahm sie in seine Arme, und dieses Mal zog sie sich
nicht zurück, sondern legte ihre Hände um seine Taille und reckte sich, um
seinen Kuß zu erwidern. Er küßte sie auf den Mund, auf die geschlossenen Augen,
noch einmal auf den Mund. Er flüsterte: »Komm, leg dich mit mir hin, Delia.«
    Dann läutete das Telefon.
    Er schien es nicht zu hören; er
hörte es nie. Und er nahm nie ab. Er sagte, das sei seine Schwiegermutter, die
ihn mehr als ihre eigene Tochter liebte und immerzu versuchte, sie wieder
zusammenzubringen. »Woher weißt du, daß es nicht Rosemary ist?« fragte Delia
einmal, und Adrian sagte achselzuckend: »Das Telefon ist nicht

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