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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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lagen oben, deshalb erinnerte Delia sie nicht. »Also los«,
sagte sie zu ihnen. »Mein Auto steht vor der Tür.« Aus der Küche rief Linda:
»Tut immer schön, was euch der Bademeister sagt, Mädchen, habt ihr gehört?«
    Delia folgte ihnen über die
Veranda, machte einen Bogen um einen Sonnenschirmstiel. Neben der Treppe
schaufelte ein junger Mann mit einem roten Taschentuch als Stirnband die Wurzeln
eines Azaleenbuschs frei. Er richtete sich auf, wischte sich mit dem Unterarm
übers Gesicht und grinste sie an. »Schwimmen würde ich auch gern gehen«, sagte
er.
    »Dann komm mit«, sagte Thérèse,
doch Marie-Claire erklärte: »Dummkopf, siehst du nicht, daß er keine Badehose
anhat.« Sie hüpften vor Delia den Weg entlang und sagten dabei einen Vers, den
sie aus ihrer Kindheit kannte:
    »That’s Life!«
    »Fünfzehn Cent die Nummer.«
    »Ich habe nur ‘nen Groschen.«
    »That’s Life!
    »Fünfzehn Cent die Nummer.
    »Ich habe nur...«
    Das Wetter war perfekt, sonnig
und nicht zu warm, aber Délias Wagen hatte den ganzen Tag auf dem Gehweg
gestanden und war aufgeheizt. Die Mädchen quiekten beide, als sie auf den
Rücksitz rutschten. »Könntest du die Klimaanlage einschalten?« fragten sie
Delia.
    »Ich habe keine Klimaanlage.«
    »Keine Klimaanlage!«
    »Macht eure Fenster auf«, riet
sie ihnen und kurbelte das Vorderfenster herunter. Sie ließ den Motor an und
fuhr auf die Straße. Das Lenkrad war fast zu heiß zum Anfassen.
    Man merkte gleich, es war
Wochenende, so viele Jogger waren unterwegs. Und in den Vorgärten wurde
gearbeitet, Rasen gemäht oder die Hecke geschnitten, die Luft grün und staubig,
so daß Thérèse (die allergisch war) niesen mußte.
    An der Wyndhurst Avenue schaltete
die Ampel auf Gelb, aber Delia hielt nicht an. Sie hatte den Eindruck, die Zeit
lief ihr davon. Sie fuhr die lange Strecke den Hang hinunter, gute zehn Meilen
schneller als erlaubt, und bog mit quietschenden Bremsen in die Lawndale Avenue
ein, parkte auf dem erstbesten freien Platz. Die Zwillinge hatten es selbst
auch eilig; sie flitzten vor ihr her zum Eingang, und bevor sie für beide
bezahlt hatte, waren sie zwischen den übrigen Badegästen verschwunden.
    Als sie bergan zurückfuhr,
zupfte sie immerzu vorn an ihrer Bluse und pustete Kühle unter die krausen
Haarsträhnen, die ihr auf der Stirn klebten. Könnte sie doch noch einmal nach
Hause und sich frisch machen! Aber ein zweites Mal würde sie ihren Schwestern
nicht entrinnen. Sie bog ab, gönnte Eddies Obstladen keinen einzigen Blick. Sie
fuhr durch eine wunderbar kühle, schattige Allee, und auf der Boulton Road
parkte sie unter einem Ahornbaum. Vor dem Aussteigen betupfte sie ihr Gesicht
mit einem Papiertaschentuch aus der Handtasche. Dann durchquerte sie den
Vorgarten zu Adrians Haus, stieg die Verandastufen hinauf und läutete.
    Der Hund kannte sie
mittlerweile, er erhob sich lediglich von seiner Matte und beschnupperte ihren
Rocksaum. »Hallo, Butch«, sagte sie. Sie tätschelte ihm unangebracht die Schnauze,
trat dabei einen kleinen Schritt zurück. Die Haustür öffnete sich, und Adrian
sagte: »Endlich!«
    »Tut mir leid«, erklärte sie
und trat ein. »Ich konnte erst fort, als Linda da war, und ihr Flugzeug hatte
natürlich Verspätung, und dann mußte ich dafür sorgen, daß sie und die
Kinder...«
    Sie redete zuviel, aber
anscheinend konnte sie nicht aufhören. Die ersten Minuten waren immer peinlich.
Adrian nahm ihr die Tasche aus der Hand und legte sie auf einen Stuhl. Da
schwieg Delia. Dann neigte er sich zu ihr und küßte sie. Sie schmeckte
wahrscheinlich nach Salz. Sie küßten sich noch nicht lange — wenigstens nicht
so, so ernst. Mit einem winzigen Hauch auf die Wange hatten sie angefangen, in
aller Freundschaft; dann gehörte von Tag zu Tag immer mehr dazu — ihre Lippen,
ihre geöffneten Münder, die Umarmungen, Körper, die sich aneinanderschmiegten,
bis Delia (immer war es Delia) losließ und leise auflachte: »Ach!« und ihren
Rock glattstrich. »Ach! Hast du viel geschafft?« fragte sie jetzt. Er sah
lächelnd auf sie hinunter. Er trug khakifarbene Shorts und ein ausgeblichenes
Sommerhemd, so blau wie seine Augen. Vom Sonnenschein der vergangenen Wochen
waren seine Haare beinah goldblond, als strahlten sie aus sich heraus, als er
im dunklen Flur stand — schon deshalb machte sie sich abrupt los und huschte
ins Haus, als hätte sie dort etwas zu tun.
    Adrians Haus erschien ihr immer
nur spärlich bewohnt, eigentlich seltsam, denn bis

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