Kleine Abschiede

Errungenschaften verstaute sie in der Kommode. (Die Schubladen
klemmten und ließen sich schwer herausziehen; sie waren wenig solide, wie das
Haus selbst.) Sie hängte Sams Badejacke auf einen Bügel. Sie legte ihre
Kosmetikutensilien in eine Schublade. Ihre Strandtasche mit dem restlichen
Durcheinander von Sonnenölflasche, Badeanzug und Haarbändern hievte sie auf die
Ablage im Schrank. Dann schloß sie die Schranktür, ging zum Bett hinüber und
setzte sich.
    So.
    Sie hatte sich eingerichtet.
    Soweit sie sich im Zimmer
umsah, entdeckte sie nicht das leiseste Anzeichen, daß jemand hier wohnte.
     
    * * *
     
    Es dämmerte schon, als Belle
zurückkam. Delia hörte, wie draußen vor dem Haus eine Wagentür zuschlug, dann
Absatzklappern auf der Veranda. Aber keine der Frauen rief ein Willkommen.
Delia, die, wer weiß wie lange, ins Leere gestarrt hatte, erhob sich so leise
wie möglich von ihrem Bett und ging auf Zehenspitzen zur Kommode, nahm ihre
Sachen von dort und versuchte, nicht mit den Dielen zu knarren, als sie über
den Flur ins Badezimmer ging.
    Während sie wartete, daß die
Dusche warm wurde, putzte sie sich die Zähne und weichte ihre Unterwäsche im
Waschbecken ein. Ein zweites Handtuch und ein zweiter Waschlappen hingen jetzt
an der anderen Handtuchstange, stellte sie fest. Sie nahm den Waschlappen und
stieg hinter den Duschvorhang, der alt und brüchig und ein wenig vermodert war.
    Straßenschmutz, Schweiß und
Sonnenmilch liefen in Strömen an ihr hinab, bis eine ganz neue Schicht Haut
erschien. Ihre Fußsohlen, die ihr vom vielen Gehen wie plattgewalzt vorkamen,
schienen sich mit Wasser vollzusaugen. Sie drehte ihr Gesicht in den Strahl,
bis das Haar naß war. Schließlich, leider, drehte sie das Wasser ab, trat aus
der Dusche und rubbelte sich trocken. Das neue Nachthemd landete luftig auf
ihren verbrannten Schultern.
    Sie beschloß, ihre Zahnbürste
nicht in den Halter überm Waschbecken zu stecken. Statt dessen legte sie sie
wieder in ihre Kosmetiktasche und trug alles zurück in ihr Zimmer. Sie
drapierte die ausgewrungene Unterwäsche im Schrank auf einem Kleiderbügel. Das
bedeutete zwar, daß sie über Nacht die Schranktür geöffnet lassen mußte — was
die Sterilität des Zimmers störte. Aber besser so, als ihre Wäsche im
Badezimmer liegen lassen. Belles Hausordnung gefiel ihr; sie hatte nicht vor,
sich ›auszubreiten‹.
    Sie schlug die Bettdecke zurück
und legte sich hin, bedeckte sich nur mit dem Überschlaglaken. Die Luft vom
Fenster kühlte ihren feuchten Kopf, doch noch brauchte sie keine Decke.
    Draußen spielten Kinder. Es war
nicht einmal vollkommen dunkel. Sie lag mit offenen Augen auf dem Rücken, und
in ihrem Kopf war ein Leere, wie in dem Raum über ihr. Einmal, allerdings,
vielleicht Stunden später, kam ihr ein einziger Gedanke. Oh, Gott, dachte
sie, wie komme ich hier wieder heraus? Aber gleich danach schloß sie die
Augen, und so schlief sie ein.
     
     
     
    7 Frau aus Baltimore
verschwunden, las Delia und spürte einen plötzlichen Stoß in der Magengegend, als hätte ihr
jemand einen Schlag versetzt. Frau aus Baltimore verschwunden, während sie
mit ihrer Familie Ferien machte.
    Täglich hatte sie die Zeitungen
aus Baltimore kontrolliert, die Morgen- und die Spätausgaben. Weder Dienstag
noch Mittwoch, noch Donnerstagmorgen hatte in diesen Zeitungen etwas gestanden.
Aber in der Donnerstagspätausgabe, die rechtzeitig zur Mittagslektüre am
Zeitungsstand am Platz auslag, stand eine Meldung im Lokalteil. Die Polizei
des Staates Delaware gab heute früh bekannt...
    Sie schlug die Zeitung um,
damit sie den Artikel besser lesen konnte, sah sich dabei verstohlen um. Auf
der Parkbank gegenüber reichte eine junge Frau ihrem kleinen Jungen Brocken für
Brocken, damit er die Tauben füttern konnte. Rechts auf der Bank blätterte ein
sehr alter Mann in einer Zeitschrift. Niemand nahm von Delia Notiz.
    Mrs. Grinstead wurde zuletzt am
vergangenen Montag gesehen, als sie den Sandstrand in südliche Richtung
zwischen...
    Wahrscheinlich machte es die
Polizei zur Regel, daß jemand erst nach Ablauf einer gewissen Zeit als vermißt
erklärt wurde. Deshalb war die Meldung nicht eher erschienen. (Als Delia die
vorhergehenden Zeitungen durchgesucht hatte, war sie jedesmal erleichtert und
verletzt zugleich gewesen. War niemandem aufgefallen, daß sie weggegangen war?
Oder vielleicht war sie gar nicht weggegangen; die ganze Geschichte war sowieso
wie ein Traum. Vielleicht lebte sie in