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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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Kissen;
sie glich einer jener üppigen, weichen Blumen, einer Pfingstrose oder einer
Iris mit großen schlappen Blüten.
    »Hier, bitte«, sagte Delia,
»zehn, zwanzig...«, und erst da drehte sich Belle vom Spiegel weg. Falls sie
sich über das Bargeld wunderte, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie faltete
die Scheine und steckte sie in ihre Brusttasche.
    »Sie wollen sicher Ihre Sachen
holen«, sagte sie, »inzwischen lege ich Ihren Schlüssel auf die Kommode, für
den Fall, daß ich nicht da bin, wenn Sie wiederkommen. Um halb fünf zeige ich
jemandem ein Haus. Sie bringen doch hoffentlich nicht soviel .«
    »Nein, ich — «
    »Das Zimmer hat nicht viel
Stauraum, und ich hasse es, wenn alles rumliegt. Nur deshalb ist die Geschichte
mit Larry und Katie passiert: sein Regenmantel landete unten an der Garderobe,
natürlich hat er ihn deshalb vergessen, als er auszog.«
    »Ich bringe sehr wenig«, sagte
Delia.
    Sie würde warten bis gegen fünf
und wiederkommen, wenn Belle garantiert nicht zu Hause war. So merkte Belle
nicht, daß sie in Wirklichkeit gar nichts mitzubringen hatte. Jetzt war es...
verstohlen schaute sie auf ihre Armbanduhr. Viertel vor vier. Belle klapperte
auf Keilsohlen-Pantoletten aus dem Zimmer. »Eins ist absolut klar, das
Erdgeschoß gehört mir«, sagte sie und blieb im Flur noch einmal stehen, »und
das heißt: auch die Küche. Das Café gegenüber ist ganz in Ordnung: Rick-Rack’s.
In der East Street ist ein Waschsalon, und Mrs. Auburn macht freitags die
Zimmer sauber. Die Haustür schließen wir nie ab, aber Ihr Zimmerschlüssel
funktioniert, falls Sie ängstlich sind. Kapiert?«
    »Ja, danke.«
    »Und ich nehme nicht an, daß
Sie Besuch bekommen«, sagte Belle. Sie warf Delia plötzlich einen abschätzenden
Blick zu. »Herrenbesuch, meine ich.«
    »Oh, nein, bestimmt nicht.«
    »Ihr Privatleben ist mir
piepegal, aber die zweiundvierzig Dollar sind für eine Person. Laken und
Handtücher auch.«
    »Ich kenne niemanden, den ich
einladen könnte«, beruhigte Delia sie.
    »Sie kommen nicht von hier,
he?«
    »Nein.«
    »Ich auch nicht. Bis ich mit
‘nem Typen hier landete, wußte ich nicht mal, daß Bay Borough existiert«, sagte
Belle lachend. »Der Typ war nichts, aber hiergeblieben bin ich trotzdem.«
    Delia wußte, eigentlich war sie
jetzt an der Reihe, von sich zu erzählen, doch sie sagte nur: »Ich denke, ich
mache mich ein bißchen frisch, bevor ich meine Sachen hole.«
    »Nur zu«, sagte Belle und
winkte dabei. Dann polterte sie die Treppe hinunter.
    Delia wartete eine
Anstandssekunde, bis sie das Badezimmer betrat. Sie war seit zehn Uhr morgens
nicht mehr auf der Toilette gewesen.
    Die Badezimmertapete —
Seepferdchen, aus deren Mäulern Silberblasen gluckerten — rollte sich an den
Rändern, die Armaturen waren alt und fleckig vor Rost, aber alles sah sauber
aus. Zuerst benutzte Delia das Klo, dann betupfte sie ihr Gesicht mit kaltem
Wasser und ließ es an der Luft trocknen. (Das einzige Handtuch gehörte
vermutlich dem anderen Mieter.) Sie wich ihrem Spiegelbild aus; lieber hielt
sie sich an das, was sie in der Umkleidekabine gesehen hatte. Jedenfalls sah
sie hinunter auf ihr Kleid; war es noch so adrett? Genau richtig für eine
Sekretärin? Und im Hinausgehen zog sie ihren Ehering vom Finger, ließ ihn
klingelnd in ihre Tasche fallen.
    Dann ging sie noch einmal kurz
zu ihrem Zimmer. Sie betrat es nicht, stand lediglich in der Tür, nahm es in
Besitz — schwelgte in seiner Kargheit — jetzt, wo sie es ganz für sich hatte.
     
    * * *
     
    Klick-klick zurück die Straße
entlang, Augen geradeaus, als wüßte sie, wohin. Das wußte sie auch, mehr oder
weniger. Schon gab es in der kleinen Stadt Nischen mit vertrauten Ansichten:
die rotverblichene Maschine mit der sprudelnden Limonade, draußen vor dem
Lebensmittelladen, die angeschlagene Keramik in Bobs Antiquitätenladen, im
›Haustierhimmel‹ die gestapelten Tüten mit Futterflocken für Hunde mit
Übergewicht. An der Ecke bog sie rechts ab, und der grüne Platz in der Ferne
schien so angenehm, so vertraut und leicht langweilig, als hätte sie schon als
Kind zu Füßen von Mr. Bays Fransensessel gehockt.
    Ezekiel Pomfret hatte immer
noch die Jalousie heruntergezogen, doch als Delia sich leicht gegen die Haustür
stemmte, gab diese nach. Eine Treppe führte steil hoch. Im Erdgeschoß, auf dem
milchigen Riffelglasfenster einer Tür rechts, stand noch einmal Ezekiel
Pomfrets Name und Testamente
& Grundeigentum, zivil- und

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