Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
Vom Netzwerk:
besonders freundlich war. Die Leute, die ihren Alltag
bevölkerten, erschienen ihr irgendwie zweidimensional, wie Abbildungen in Kinderbüchern
über das Tun der Erwachsenen. Ihr Umgang war noch nicht so leicht und
gutgelaunt wie früher.
    Sie verließ das Kaufhaus, ging
über die Bay Street, vorbei an den kleinen Läden. Die Uhr des Optikers zeigte
Viertel vor zwei. Sie bemühte sich immer, ihre Mittagspause gut zu nutzen, von
eins bis zwei, aber bis jetzt war es ihr noch nicht gelungen.
    Und was würde sie im Winter
tun, wenn es zu kalt war, draußen am Platz zu essen? Denn jetzt sah sie schon
so weit voraus — diese Miss Grinstead mit ihrer endlosen, unauffälligen,
gleichbleibenden Reihe von Tagen.
    Aber in Bay Borough war immer
Sommer. Es war die einzige Jahreszeit, die sie sich hier vorstellen konnte.
    Sie öffnete die Außentür zu Mr.
Pomfrets Kanzlei, dann die innere Riffelglastür. Er war schon vom Mittagessen
zurück, telefonierte wie üblich in seinem Büro. Von hier aus klang es wie Wumtata,
Wumtata. Delia schob ihre Handtasche in die untere Schreibtischschublade, glättete
ihren Rock hinten und setzte sich auf den Drehstuhl. Sie hatte einen
halbfertigen Brief in der Maschine, den sie jetzt weitertippte; sie hielt sich
sehr gerade und ihre Hände fast waagerecht, so wie sie es in der High-School
gelernt hatte.
    Offizielle Stellen schließen
Tod durch Ertrinken aus, hatte in der Zeitung gestanden. Weil Mrs. Grinstead erklärtermaßen... Wie hatten sie sich ausgedrückt? Eine erklärte Abneigung gegen Wasser hatte. Oder so ähnlich. Klang wie eine Frau, die nie in die Badewanne ging. Sie
knallte unnötig heftig gegen den Transportierhebel der Schreibmaschine. Und der
Unfug von Eliza, sie sei eine Katze! Die Leute mußten sie beide für nicht ganz
bei Trost halten.
    Diese Schreibmaschine schrieb
sich schwerer als die in Sams Praxis. An ihrem ersten Arbeitstag hatte sie sich
zwei Fingernägel abgebrochen. Danach hatte sie ihre Nägel kurzgefeilt, was
sowieso besser zu Miss Grinsteads allgemeinem Stil paßte. Außerdem hatte sie
zwanzig Minuten eines Abends damit verbracht. Sie machte sich in diesen Tagen
häufig Gedanken, wie sie ihre Abende verbringen sollte.
    »Gut, dann tun wir’s! Dann
treffen wir uns und tun’s endlich!« sagte Mr. Pomfret gerade, plötzlich lauter
und energischer. Delia tippte den Schluß (»Esquire — Hochwohlgeboren«, nannte er
sich) und drehte den Brief aus der Maschine. Mr. Pomfret platzte herein. »Miss
Grinstead, wenn Mr. Miller auftaucht, brauche ich Sie in meinem Büro zum
Diktat«, sagte er. »Wir schicken... was haben Sie denn da?«
    »Den Brief an Gerald Elliott?«
erinnerte Delia ihn.
    »Elliott! Den habe ich doch vor
Ewigkeiten...«
    Sie prüfte das Datum oben auf
der Seite. »Mai«, sagte sie. »Vierzehnter Mai.«
    »Verdammt.«
    Es hatte sich herausgestellt,
daß Delias unmittelbare Vorgängerin lästigere Arbeiten einfach unter Laufende
Fälle abgeheftet hatte. Alles, was irgendwie mit Rotstift versehen war,
hatte sie bequemerweise verschwinden lassen. (Und es gab reichlich
Rotstiftstellen, weil Katie O’Connell die Rechtschreibung nicht beherrschte und
nichts von Absätzen hielt.) Mr. Pomfret lief lila an, als Delia ihm ihren Fund
mitteilte, doch Delia freute sich insgeheim. So wirkte sie noch tüchtiger,
qualifiziert und patent. (Ein bißchen kam sie sich allerdings wie eine
Streberin vor.) Außerdem war es leicht, die Briefe neu zu schreiben, eine gute
Übung. Schade, daß sie bald damit fertig war.
    »Mr. Miller hat einen Termin um
halb drei«, erklärte Mr. Pomfret. Er lehnte über ihren Schreibtisch, um den
Brief zu unterschreiben. »Ich möchte, daß Sie Wort für Wort mitschreiben, was
er zu sagen hat.«
    »Ja, Mr. Pomfret.«
    Er richtete sich auf, steckte
die Kappe auf seinen Füllfederhalter, sah sie aus seinen echsenschmalen Augen
plötzlich scharf an. Manchmal trieb Delia ihren Sekretärinnen-Auftritt
vermutlich ein bißchen zu weit. Sie warf ihm ein falsches Lächeln zu und griff
den Brief. Seine Unterschrift war groß und schwungvoll, die Bögen verschmiert.
Er benutzte einen teuren deutschen Füller, der schmierte.
    »Und Kaffee, Sie können ihn
schon kochen«, sagte er.
    »Ja, Mr. — Natürlich«,
antwortete sie.
    Sie holte die Glaskanne aus
seinem Büro, ging damit zum Waschbecken in der Toilette. Als sie zurückkam, saß
er vor der Anrichte, die kurzen Beine seitwärts verdreht, und tippte wieder
unbeholfen auf seinem Computer. Denn: er besaß

Weitere Kostenlose Bücher