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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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Haus — sonst wäre sie bestimmt zehn Minuten gelaufen.
    »Meine Eltern wohnen so«, sagte
Belle. Sie betrachtete durch die Windschutzscheibe die ausgesägten Planwagen
auf den Fensterläden. »In einem Vorort von York, Pennsylvania. Dee, bist du
ganz sicher, daß du das hier willst?«
    »Oh, ja«, sagte Delia schwach.
    »Hier bist du ein Dienstbote!«
    »Besser als eine
Schreibmaschine«, erwiderte Delia.
    »Gut, wenn du es so siehst!«
    Delia stieg aus, und Belle half
ihr, den Kasten aus dem Kofferraum zu bugsieren. »Danke«, sagte Delia. »Du hast
meine Telefonnummer.«
    »Hab’ ich.«
    »Ich melde mich, wenn die Katze
kommen kann.«
    »Oder vorher«, sagte Belle.
»Oder falls du zurückkommen willst! Ich warte ein paar Tage, bis ich das Schild
wieder ins Fenster stelle.«
    Sie hätten endlos so
weitermachen können, doch dann stürmte Noah aus der Haustür. »Delia! Hallo!«
rief er.
    »Für dich immer noch Miss
Grinstead«, zischte Belle. Sie warnte Delia: »Laß dich bloß nicht zum Kuli
machen.«
    Delia umarmte sie und ging zum
Haus. Wie die Millers sie behandelten, war das geringste ihrer Probleme, dachte
sie. Die Frage war, wie sie die Millers behandelte — wie sie zu diesem
Wuschelkopf von Jungen in seinen Jeans Abstand hielt. Es war so leicht, einfach
in die Mutterrolle zurückzufallen! Sie lächelte ihn an, als er ihr den Karton
abnahm. »Es geht schon«, sagte sie.
    »Ich soll dir dein Gepäck
abnehmen, hat Papa gesagt. Hast du nicht mehr Sachen?« fragte er. Belle
setzte schon den Wagen aus der Einfahrt zurück.
    »Das ist alles«, antwortete
Delia.
    »Pa ist noch in der Schule, ich
soll dir inzwischen alles zeigen. Wir haben das Zimmer extra für dich
zurechtgemacht. Wir haben sogar das Bett bezogen, obwohl die Bettwäsche noch
sauber war.«
    »Oh, wieso das denn?«
    »Pa hat gesagt, wenn sie nicht
mehr frischgewaschen riecht, denkst du vielleicht, jemand hat drin geschlafen.«
    »Ganz bestimmt nicht«,
versicherte sie.
    Sie gingen durchs Wohnzimmer,
wo die Sofakissen exakt wie vergangene Woche aufgereiht waren und die Modehefte
um keinen Zentimeter verschoben lagen. Der Flurteppich war allerdings frisch
gesaugt. Die Spuren auf dem Flor waren noch zu erkennen. Und als sie ins Gastzimmer
kamen, stellte Noah ihren Karton auf den klappbaren Kofferständer, der vorher
nicht dagewesen war. »Neu«, sagte Noah auf ihren Blick hin. »Haben wir von
›Heim & Herd‹.«
    »Sehr schön.«
    »Und sieh dir das an«, sagte
er. Auf der Kommode stand ein winziger Fernseher. »Farbfernsehen! Auch von
›Heim und Herd‹. Papa sagt, eine Haushälterin hat immer eigenes Fernsehen.«
    »Oh, ich brauch’ gar keinen...«
    »Radiowecker«, sagte Noah,
»Kleenexschachtel...«
    Was sie am meisten rührte, war
das aufgeschlagene Bett — das bemühte weiße Lakendreieck. Sie sagte: »Das
braucht ihr doch nicht.« Und das meinte sie auch, denn bei diesem Anblick
fühlte sie sich irgendwie verpflichtet.
    Sie folgte Noah zum
Wandschrank, wo er ihr die Kleiderbügel vorführte. »Drei Dutzend gleiche Bügel,
stabiles Plastik, pink. Kein einziger Drahtbügel. Es gab sie in pink, weiß oder
braun.«
    »Pink ist perfekt«, meinte sie.
    Drei Dutzend! Sie waren
bestimmt enttäuscht, wie wenig Kleider sie besaß.
    »Jetzt soll ich dich allein
lassen«, sagte Noah. »Aber ich bin in meinem Zimmer, wenn du irgend etwas
brauchst.«
    »Danke, Noah.«
    »Du weißt, wo mein Zimmer ist?«
    »Das finde ich schon.«
    »Und du sollst auspacken und
deine Sachen in die Schubladen legen.«
    »Mach’ ich«, versprach sie.
    Im Gehen warf er ihr einen zweifelnden
Blick zu, als fürchtete er, sie würde seinen Anweisungen nicht folgen.
    Ihr Karton wirkte so schäbig
auf der Tapisseriebespannung des Kofferständers. Sie ging hin, öffnete ihn, und
der einsame, abgestandene Hornissennestgeruch des Zimmers in der George Street
wehte ihr entgegen. Nun ja. Sie zog ihren Mantel aus und hängte ihn auf einen
der Bügel. Drapierte den Riemen ihrer Schultertasche über einen Haken. Zog die
Leselampe aus dem Kasten, aber wußte nicht, wohin damit, denn im Zimmer standen
schon zwei Lampen mit steifen weißen Satinschirmen. Die Leselampe in der Hand
(mit dem militärisch grünen Metallschirm und der Beule von der Katze, die die
Lampe abends einmal umgekippt hatte), setzte sie sich erschöpft aufs Bett. Sie
mußte die Füße fest aufsetzen, sonst wäre sie von der glatten Überdecke
gerutscht. Das Bett war wie manche Hotelbetten, es federte sehr und war

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