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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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schlug.
    »Solche kleinen Boxen mit
vielen Fächern. Weißt du? Die man an die Wand hängen kann?«
    »Oh, ja.«
    »Weil meine Mama kleine Sachen
sammelt. Winzige kleine Küchensachen und Puppenstubenmöbel, und darum hat er
immer Schattenboxen für sie gemacht.«
    Und jetzt? Wollte Delia fragen.
    Und als hätte er ihre Gedanken
gelesen, sagte Noah: »Jetzt hat er schon einen Stapel hinter den Autoreifen in
der Garage.«
    »Aha.«
    Aus Noahs Tonfall war für Delia
klar, was er von der Trennung seiner Eltern hielt. Er hatte seine Mutter bisher
nur beiläufig erwähnt, und der kommende Besuch war der erste seit Delias
Ankunft.
    »Ich muß noch eine Sache
aussuchen«, sagte er zu ihr. »Geh mal raus und warte kurz.«
    Also kaufte er ihr auch ein
Geschenk. Lieber wäre ihr gewesen, wenn nicht. So mußte sie Begeisterung
spielen, mußte, was immer es war, benutzen, und obendrein mußte sie ihm auch
etwas schenken: etwas nicht mehr und nicht weniger Nützliches als sein
Geschenk. Oh, wieso mußte sie das noch einmal mitmachen? Wäre sie doch bei
Belle geblieben; sie hatte es ja gleich gewußt.
    Aber Noah war so lustig, als er
sie durch die Tür drängelte, daß sie doch lächeln mußte.
    »Brauchst du Geld?« fragte sie.
    »Ich habe mein Taschengeld gespart.«
    Er schloß die Tür hinter ihr
und vollführte hinter der Scheibe eine komische Pantomime.
    Sie wartete auf dem Gehweg,
beobachtete die Passanten. Es war schwer, der allgemeinen Stimmung zu
widerstehen. Jedermann trug Einkaufstüten und leuchtend bunt verpackte Pakete.
In der frostigen Luft duftete es nebenan aus Rick-Rack’s Café einladend nach
gebratenem Speck und heißen Pfannkuchen. Als Noah wieder zu ihr kam, seine
Einkaufstüte im Arm, sagte sie: »Wie wär’s, wenn ich dir bei Rick-Rack’s was zu
trinken spendiere?«
    Er zögerte. »Schreibst du das
auch ins Buch?« fragte er.
    Er meinte das kleine Notizbuch,
das Mr. Miller ihr gegeben hatte. Sie sollte darin die »zu erstattenden
Ausgaben« eintragen, und Noah war in ständiger Sorge, daß sie zu wenig eintrug.
(In seinen Augen zählte sie zu den Weniger-Begüterten, was sie sowohl
amüsant als auch ein bißchen demütigend fand.) »Heute gebe ich einen aus«,
erklärte sie entschlossen, und selbst als er widersprechen wollte, schob sie
ihn auf das Café zu.
    Rick winkte mit dem
Pfannenheber in ihre Richtung. Er war am Grill beschäftigt. Teensy dagegen war
völlig aus dem Häuschen. »Nein, Delia! Und Mr. Millers Junge. Sieh mal, Papa!«
zwitscherte sie zu dem alten Mann gewandt, der an der Theke saß. »Das ist Delia
Grinstead! Sie hat früher gegenüber gewohnt! Mein Vater, Mr. Bragg«, stellte
sie ihn Delia vor. »Er wohnt jetzt bei uns.«
    Teensys Vater, erinnerte sich
Delia schwach, war doch der verschrobene Mensch, der sich gegenüber seinem
Schwiegersohn nicht besonders zuvorkommend verhalten hatte; sie war demnach
nicht auf diese verschreckte, in sich zusammengesunkene Person gefaßt. Wie ein
Kind saß er vor seinem Teller. Als sie »Hallo« sagte, brauchte er eine Zeit,
bis sich in seinem Mund die Worte formten.
    »Ich trinke Kakao«, war alles,
was er schließlich herausbrachte.
    »Wie nett!«
    Ihre Stimme klang so falsch,
wie Teensys geklungen hatte.
    »Ihr Junge?« fragte er.
    »Das ist... Noah«, sagte sie,
ohne weitere Erklärung.
    »Komm, setz dich, Junge.«
    »Oh, wir nehmen besser einen
Tisch, wir haben so viele Sachen.« Delia deutete auf Noahs Einkaufstüte. Die
Griffe der Greifzange für seinen Großvater ragten einen guten halben Meter vor.
    Am Tisch hinten in der Ecke
ließ Mr. Lamb den Kopf über seinem Frühstücksmüsli hängen. Zwei junge Mädchen
hatten einen Tisch am Fenster besetzt — Underwood-Schülerinnen, vermutete Delia
angesichts der neugierigen Blicke, die sie Noah zuwarfen. (Ein paar hatte sie
schon zu Hause abgefertigt, hatte ihnen kurz, aber herzlich für ihre
selbstgemachten Toffees gedankt und geflissentlich übersehen, wie sie nach Joel
Ausschau hielten.) Eine rief schallend: »Hallo, du, Noah!« Noah sah Delia an
und verdrehte die Augen.
    »Was darf ich bringen?« fragte
Teensy, ihren Tisch überragend.
    »Einen Kaffee, bitte«, sagte
Noah.
    »Kaffee!«
    »Kann ich?« sagte er zu Delia
gewandt. »Bei meinem Vater darf ich manchmal, zu besonderen Anlässen.«
    »Na, gut. Also zwei«, bestellte
Delia bei Teensy.
    »Alles klar«, sagte Teensy.
Dann beugte sie sich so nah hinunter, daß Delia ihre nach Stärke duftende
Schürze riechen konnte, und flüsterte:

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