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Kleine Abschiede

Kleine Abschiede

Titel: Kleine Abschiede Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Tyler
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haben. Schreibkräfte, Buchhalter...«
    »Wieso nimmst du die Stelle bei
Mr. Miller nicht?«
    »Ich will nicht einfach... so
ins Leben eines kleinen Jungen eindringen, falls ich wieder weggehe«, erklärte
Delia.
    »Gehst du eigentlich immer
wieder weg?«
    Delia war sich unsicher, wie
die Frage gemeint war. Sie sah Vanessa mißtrauisch an. »Nein, nicht immer«,
sagte sie.
    »Ich meine, du hast nie ein
böses Wort über Zeke Pomfret gesagt. Und jetzt willst du kündigen.«
    »Er kommandiert dermaßen herum.
Dermaßen herablassend. Das Gehalt ist auch lächerlich«, sagte Delia. »Ich hatte
keine Ahnung, wie lächerlich eigentlich, als ich die Stelle annahm. Und er
zahlt nicht mal die Krankenversicherung! Was, wenn ich zum Arzt muß?«
    Vanessa lehnte sich zurück und
betrachtete sie.
    »Ja«, gab Delia zu, »ja, ich
glaube, ich gehe oft weg.«
    Als sie das sagte, sah sie eine
einsame, aufrechte Person den Strand entlanggehen. Seltsam, wie warm ums Herz
ihr bei diesem Bild wurde.
     
    * * *
     
    Für ihre Familie, beschloß sie,
kaufte sie zu Weihnachten gar nichts. Vielleicht hielt Greggies Ausflug zum
Weihnachtsmann sie davon ab. Eigentlich hatte er, bevor sie losgingen,
begriffen, worum es sich drehte, doch als sie dann da waren, schrie er nur, und
sie mußten ihn hinaustragen. Vanessa war am Boden zerstört, selbst der
Weihnachtsmann schien am Boden zerstört. Und ihr Einkaufsbummel danach war
trostlos; Greggie kämpfte noch mit den Tränen und hing teilnahmslos und
beleidigt in seinem Buggy. Delia meinte zu Vanessa, es sei ein hoffnungsloser
Tag. »Ich muß sowieso noch in den Waschsalon«, sagte sie — eine fadenscheinige
Entschuldigung.
    Als sie nach Hause kam, stand
Belle zur Begrüßung in der Wohnzimmertür. »Jemand hat für dich angerufen«,
sagte sie.
    »Wirklich?«
    Ihre Knie wurden weich. Sie
dachte zuerst an die Kinder, dann an Sams Herz.
    Aber Belle sagte: »Mr. Miller
von der High-School. Er möchte, daß du zurückrufst.«
    »Oh.«
    »Ich wußte gar nicht, daß du
Joel Miller kennst.«
    Delia hatte Belle nicht von ihm
erzählt, denn wenn sie die Stelle annahm, bedeutete dies, daß sie aus diesem
Haus ausziehen mußte, und wie konnte sie das je? Dieses Haus war perfekt.
Selbst Mr. Pomfret hatte seine guten Seiten. Irgendwie hatte der Besuch beim
Weihnachtsmann ihr das deutlich gemacht. Also nahm sie, ohne mit der Wimper zu
zucken, die Nummer in Empfang, die Belle seitlich an die Speisekarte eines
Take-away-Restaurants gekritzelt hatte. Je früher sie anrief, desto eher hatte
sie es hinter sich. Sie hockte sich auf die Sofalehne, langte nach dem Telefon
und wählte. Währenddessen wartete Belle im Hintergrund, beschäftigte sich mit
der Katze. »Bist du doch ein nettes kleines Miezimiezimiez«, flötete sie. Delia
horchte, wie es am anderen Ende läutete, ließ dankbar ihre Augen über die
nackten weißen Wände, die bloßen Dielen wandern.
    »Hallo?« sagte Noah.
    Sie sagte: »Delia Grinstead.«
    »Oh, hallo! Ich soll mich bei
dir entschuldigen.«
    »Entschuldigen? Für was?«
    »Pa sagt, Männer sollen in
Gesellschaft von Damen nicht von Möwenkacke reden.«
    »Oh. Na ja...«
    Sie hörte einen Mann im
Hintergrund etwas sagen.
    »Frauen«, sagte Noah.
    »Wie bitte?«
    »Frauen, soll ich sagen, nicht
Damen.«
    Vorwände, natürlich. Mr. Miller
dachte sicher nicht, sie sei beleidigt wegen der Möwenkacke. Oder einem Wort
wie Damen. Reine Strategie war das. Aber Noah selbst hatte davon vermutlich
keine Ahnung, und Delia beruhigte ihn: »Ist schon gut.«
    »Der Onkel von Kenny Moss hat
einen Imbißwagen; daher weiß Kenny Moss von der Na-du-weißt-schon. Aber Pa
behauptet, sein Onkel hat nur Witze gemacht. Pa meinte: »Glaubst du, die
Mais-Chip-Fabrik nimmt sich die Zeit, Arbeiter mit Schaufeln an den Strand zu
schicken.‹«
    Wieder Gemurmel im Hintergrund.
    »Okay, sagte. Er sagte «,
wiederholte Noah für Delia. »Und obendrein sagte er« — Betonung und
bedeutungsvolle Pause — »er sagte, wieso steht das dann nicht bei den
Inhaltsstoffen, wenn sie Möwenkacke verwenden? Hoppla.«
    »Oh, die Listen mit den
Inhaltsstoffen, die kennen wir doch«, sagte Delia. »Nur wissenschaftliche
Begriffe. Die klingen so chemisch, damit können sie alles vertuschen.«
    »Das geht?«
    »Na, klar! Wahrscheinlich
nennen sie es »Dehydroxyexymexylen‹ oder so ähnlich.«
    Noah kicherte. »He, Papa«,
sagte er, seine Stimme leicht entfernt, »Delia meint, wahrscheinlich ist es auf
der Liste; wahrscheinlich als

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