Kleine Einblicke
versuchen, was in deiner Situation kaum ein anderer freiwillig getan hätte. Doch anstatt zu akzeptieren, dass es nicht geklappt hat, willst du mir weismachen, dass du ein Feigling bist? So blöde kannst du nicht sein.“
David zuckte zusammen. Von der Sichtweise aus hatte er das noch nie betrachtet. „Aber...“
„Ich bin noch nicht fertig“, unterbrach Shannon ihn rüde. „Weißt du wie viele Menschen nach solchen Vorfällen nie mehr auf die Füße kommen? Hast du auch nur die geringste Ahnung, wie viele Frauen und Männer umziehen und neue Namen annehmen, weil sie in ständiger Angst vor ihrem Peiniger leben, selbst wenn der im Knast sitzt? Und was hast du getan? Bist du weggelaufen? Hast du dich in eine Ecke verkrochen und versteckt? Nein, hast du nicht, David. Du hast gekämpft, eine Therapie gemacht, bist ein Künstler geworden und du hast Adrian geheiratet. Du lebst ein Leben, um das dich unzählige Opfer von solchen Gewalttaten beneiden würden, und jetzt behaupte noch mal, dass du feige bist.“
David schwieg total verdattert. Was sollte er denn darauf sagen? Shannon hielt ihn für mutig, obwohl er... David fing an zu grübeln und ließ sich Shannons Vortrag dabei noch mal Wort für Wort durch den Kopf gehen. Am Ende fühlte er sich noch elender als zuvor. Wie bescheuert konnte ein Mensch eigentlich sein? David seufzte leise. „Haust du mir eine runter, wenn ich es tue?“
Shannon stöhnte erleichtert auf. „Endlich hast du es begriffen, Gott sei Dank. Und ja, ich haue dir eine runter, wenn ich solchen Scheiß noch mal von dir höre, darauf kannst du wetten.“
„Ich wollte es schaffen, Shane“, gestand David daraufhin leise. „Ich dachte wirklich, ich könnte es.“
„Ich weiß“, erwiderte Shannon mit einem hörbaren Lächeln in der Stimme. „Und Adrian weiß das genauso. Aber es bestand nun mal die Möglichkeit, dass du es nicht schaffst, und damit musst du umgehen lernen. Akzeptier' bitte, dass du nicht Superman bist.“
David grinste schief. „Bin ich nicht?“
Shannon lachte leise. „Nein, du Blödmann, bist du nicht. Und das musst du auch nicht sein. Uns reicht aus, wenn du du bist und dass zu uns kommst, wenn du Probleme hast.“
„Ich habe ihn so enttäuscht“, murmelte David und schloss gequält die Augen. „Scheiße.“
„Ja, das hast du“, stimmte Shannon ihm erbarmungslos zu. „Und du wirst zu Kreuze kriechen müssen, um das wieder gutzumachen.“
„Ich weiß“, murmelte David, auch wenn er im Moment noch keine Ahnung hatte, wie er das am Besten anstellen sollte. „Denkst du, eine Entschuldigung wäre eine gute Idee?“
„Sie wäre auf jeden Fall ein guter Anfang“, antwortete Shannon ernst. „Aber wie wäre es, wenn du als erstes den Alkohol wegräumst und die Tabletten dahin tust, wo sie hingehören. Und zwar in euren Medizinschrank.“
„Sollte ich das Zeug nicht besser wegwerfen?“
„David...“ Shannon schnalzte tadelnd mit der Zunge. „Wenn du sie brauchst, weil du Alpträume hast, dann benutz' die Tabletten. Aber eben vernünftig. Kein Verstecken unter Handtüchern, klar? Und was den Alkohol angeht, wie ist es dir lieber? Ihn wegzuschütten oder als stumme Mahnung stehenzulassen?“
„Letzteres“, gestand David, weil er fand, dass er eine gewisse Strafe für sein Verhalten durchaus verdient hatte, und der Anblick einer halbvollen Flasche Whiskey würde mit Sicherheit eine Strafe sein.
„Dann weißt du ja, was du zu tun hast“, sagte Shannon schlicht.
David zögerte allerdings unsicher. Den Alkohol und die Tabletten wegräumen war ja gut und schön, aber sollte er nicht lieber erst zu Adrian fahren und sich entschuldigen? Bei dem, was er verzapft hatte, schlug der ihm vermutlich zwar erst mal die Tür vor der Nase zu, aber im Notfall würde er eben im Flur übernachten oder sich in das nächste Hotel einmieten. Oder war es klüger Adrian eine Nacht in Ruhe zu lassen und es morgen früh zu versuchen?
„Shane, ich...“
„Geh' nach draußen“, unterbrach Shannon ihn amüsiert und lachte leise, als David verblüfft nach dem Grund fragte. „Adrian sitzt im Wagen und wartet darauf, dass wir fertig reden.“
David verstand nur Bahnhof. „Was?“
„Adrian liebt dich sehr, David, und er hatte zu viel Angst, dass du nach eurem Streit irgendetwas Dummes anstellst. Deshalb hat er sich nicht getraut in eure Wohnung zu fahren. Wenn du vorhin nicht ans Telefon gegangen wärst, hätte ich ihn sofort zurück ins Haus geschickt, um nach dir zu
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