Kleine Freie Männer
Flügelschlag! Tschiep, tschiep! Ach, ich armes kleines Ding! Tschiepi-tschiep!«
Tiffany lief zum Fenster.
Sie sah einen der Größten auf dem Weg. Aus einem
Lappen hatte er sich so etwas wie Flügel angefertigt, und er trug einen Schnabel aus Stroh, während er wie ein hilfloser Vogel im Kreis hoppelte.
»Ach, tschiepi-tschiep! Flatter-flatter! Ich hoffe doch sehr, dass keine Miezekatze in der Nähe ist! Ach je!«, rief er.
Und Rattenbeutel, Erzfeind aller Jungvögel, schlich
geifernd über den Weg. Als Tiffany den Mund öffnete, um zu rufen, sprang er und landete mit allen vieren auf dem kleinen Mann.
Beziehungsweise dort, wo der kleine Mann eben noch
gewesen war. Der Größte hatte einen Satz nach oben
gemacht und befand sich jetzt direkt vor Rattenbeutels Gesicht, ein Katerohr in jeder Hand.
»Hallo, Miezekätzchen, du altes Ekel!«, rief er. »Hier ist ein Geschenk von den Vögelchen!«
Er rammte dem Kater den Kopf gegen die Schnauze.
Rattenbeutel sprang in die Luft und landete mit verdrehten 89
Augen auf dem Rücken. Er schielte entsetzt, als sich der kleine Mann zu ihm hinabbeugte und schrie: »TSCHIEP!«
Dann wurde Rattenbeutel in der Art von Katzen zu
einem rötlich braunen Schemen, der über den Weg sauste, durch die öffnete Tür und an Tiffany vorbei, um sich unter der Spüle zu verstecken.
Der Größte sah auf, grinste und bemerkte Tiffany.
»Bitte geh nicht …«, begann sie schnell, aber er war
bereits verschwunden.
Tiffanys Mutter eilte über den Weg. Tiffany nahm die
Kröte und schob sie gerade noch rechtzeitig in ihre
Schürzentasche.
»Wo ist Willwoll?«, fragte ihre Mutter besorgt. »Ist er hier? Ist er zurückgekommen? Antworte mir!«
»Hat er dich nicht zur Schur begleitet?«, erwiderte
Tiffany und wurde plötzlich nervös. Panik stieg wie Rauch von ihrer Mutter auf.
»Wir können ihn nicht finden!« Verzweiflung glitzerte
in den Augen von Tiffanys Mutter. »Ich habe ihm nur ganz kurz den Rücken zugedreht! Bist du sicher, dass du ihn nicht gesehen hast?«
»Aber er kann doch nicht den weiten Weg allein
zurückgekehrt sein …«
»Geh und sieh im Haus nach! Na los!«
Frau Weh eilte fort. Tiffany setzte hastig die Kröte auf den Boden und schob sie unter die Spüle. Dort quakte sie, und Rattenbeutel, außer sich vor Furcht und Verwirrung, 90
schoss mit einem Durcheinander aus Beinen unter der
Spüle hervor und raste durch die Tür.
Tiffany stand auf. Ihr erster schändlicher Gedanke war: Er wollte mitkommen und sich die Schur ansehen. Wie konnte er verloren gehen? Er war doch bei Mutter, Hannah und Fastidia.
Und wie genau würden Fastidia und Hannah auf ihn
Acht gehen, bei all den jungen Männern?
Tiffany versuchte, sich einzureden, dass sie das nicht gedacht hatte, aber unglücklicherweise verstand sie es gut, sich beim Lügen zu ertappen. Das ist das Problem mit
einem Gehirn: Manchmal denkt es mehr, als man möchte.
Aber Willwoll bleibt immer in der Nähe von Leuten!
Die Schurpferche sind eine halbe Meile entfernt! Und er ist nicht schnell. Nach einigen Metern lässt er sich zu Boden plumpsen und verlangt Süßigkeiten!
Aber es wäre hier friedlicher, wenn er verloren ginge …
Noch ein scheußlicher, gemeiner Gedanke, den Tiffany
mit Aktivität zu verdrängen versuchte. Zuerst nahm sie Süßes aus einem Glas, als Köder, und ließ den Beutel
rascheln, während sie von Zimmer zu Zimmer lief.
Sie hörte Stiefel auf dem Hof, als einige der Männer von den Schurschuppen kamen, setzte die Suche aber fort. Sie blickte unter Betten und in Schränke, sah sogar in den hohen Geschirrschränken nach, die ein Kleinkind gar nicht erreichen konnte, und dann blickte sie noch einmal unter die Betten, die sie bereits kontrolliert hatte, denn es war die Art von Suche, bei der man sogar auf dem Dachboden
nachsieht, obwohl die Tür immer abgeschlossen ist.
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Nach einigen Minuten riefen draußen zwei oder drei
Stimmen nach Willwoll, und Tiffany hörte ihren Vater
sagen: »Versucht es unten am Fluss!«
Und das bedeutete, dass er ebenfalls verzweifelt war,
denn ohne Bestechung würde Willwoll auf keinen Fall so weit gehen. Er war kein Kind, das sich gern von Süßem
trennte.
Es ist deine Schuld.
Dieser Gedanke fühlte sich in Tiffanys Gehirn wie ein
Stück Eis an.
Es ist deine Schuld, denn du liebst ihn nicht. Er kam auf die Welt, und daraufhin warst du nicht mehr die Kleinste, und du musst dich dauernd um ihn kümmern, und du hast
dir doch gewünscht, er
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