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Kleine Freie Männer

Kleine Freie Männer

Titel: Kleine Freie Männer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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nächsten Morgen zeigte sie die Figur stolz Oma
    Weh. Die alte Frau nahm sie vorsichtig in die faltigen Hände und betrachtete sie eine Zeit lang.
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    Inzwischen zweifelte Tiffany kaum mehr daran, dass es etwas Grausames gewesen war.
    Oma Weh hatte vermutlich nie etwas von Schäferinnen gehört. Personen, die sich im Kreideland um Schafe kümmerten, wurden Schäfer genannt, und damit hatte es sich. Und dieses wundervolle Geschöpf hatte so wenig Ähnlichkeit mit Oma Weh, wie es überhaupt möglich war.
    Die Porzellanschäferin trug ein altmodisches langes Kleid, mit dicken Beulen an den Seiten, wodurch sie aussah, als hätte sie Satteltaschen im Schlüpfer. Blaue Bänder schmückten das Kleid, den recht protzigen Strohhut und auch den Hirtenstab, der viel welliger war als alle Hirtenstäbe, die Tiffany kannte.
    Sogar an den zierlichen Füßen, die unter dem Rüschen-saum des Kleids hervorlugten, waren blaue Schleifen.
    Dies war keine Schäferin, die jemals große, alte, mit Baumwolle ausgestopfte Stiefel getragen hatte und durchs Hügelland gestapft war, während heulender Wind Graupel wie Nägel aufs Land schleuderte. In diesem Kleid hatte sie sich nie um einen Widder gekümmert, der mit den Hörnern in einem Dornbusch feststeckte. Dies war keine Schäferin, die sieben Stunden lang mit dem Meisterscherer mithalten konnte, Schaf um Schaf, bis die Luft dunstig wurde von Wollfett und Wolle, und blau vom Schimpfen, und
    schließlich gab der Meisterscherer auf, weil er nicht so gut schimpfen konnte wie Oma Weh. Kein Schäferhund würde jemals einer geziert lächelnden Frau mit Satteltaschen im Schlüpfer gehorchen. Es war eine hübsche Figur, aber ein Witz von einer Schäferin, geschaffen von jemandem, der vermutlich nie ein Schaf aus der Nähe gesehen hatte.
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    Welche Gedanken waren Oma Weh beim Betrachten der
    Porzellanschäferin durch den Kopf gegangen? Tiffany konnte es nicht einmal erraten. Sie schien sich gefreut zu haben, denn es ist die Aufgabe von Großmüttern, Freude zu zeigen, wenn Enkelkinder ihnen etwas geben. Sie hatte die Figur ins Regal gestellt, Tiffany dann auf ihr Knie gehoben und sie ›meine kleine Jiggit‹ genannt, auf eine nervöse Art, wie immer, wenn sie versuchte, großmütterlich zu wirken.
    Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn Oma Weh unten auf der Farm war, beobachtete Tiffany manchmal, wie sie die Figur nahm und sie betrachtete. Wenn sie Tiffanys Blick spürte, stellte sie die Porzellanschäferin schnell zurück und gab vor, dass ihr Interesse eigentlich dem Schafbuch galt.
    Vielleicht, dachte Tiffany kummervoll, hatte die alte Frau eine Art Beleidigung in der Statue gesehen. Vielleicht glaubte sie, dass man ihr damit sagte, wie eine Schäferin aussehen sollte. Sie sollte keine Alte in einem schmutzigen Kleid und mit großen Stiefeln sein, mit einem Sack über den Schultern, um den Regen fern zu halten. Eine Schäferin sollte funkeln wie die Sterne in einer klaren Nacht. Es war natürlich nie Tiffanys Absicht gewesen, aber vielleicht hatte sie Oma Weh mit der Figur zu verstehen gegeben, dass sie nicht … richtig war.
    Und dann, einige Monate später, starb Oma Weh, und in den folgenden Jahren ging alles schief. Willwoll wurde geboren, und dann verschwand der Sohn des Barons, und dann kam der schlimme Winter, in dem Frau Schnappich im Schnee starb.
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    Tiffany dachte immer wieder kummervoll an die Figur.
    Sie konnte nicht darüber reden. Alle anderen waren beschäftigt oder nicht interessiert. Alle waren gereizt. Sie hätten gesagt, dass es dumm war, sich wegen einer Figur Sorgen zu machen.
    Mehrmals hätte sie die Porzellanschäferin fast
    zerbrochen, aber die Abwesenheit der Figur wäre den anderen sicher aufgefallen.
    Heute hätte sie Oma Weh natürlich nichts so Falsches gegeben. Inzwischen war sie groß.
    Sie erinnerte sich daran, dass die Alte manchmal
    seltsam gelächelt hatte, wenn ihr Blick auf der Figur verweilte. Wenn sie doch nur etwas gesagt hätte. Aber Oma Weh mochte es zu schweigen.

    Und jetzt stellte sich heraus, dass Oma Weh Freundschaft mit kleinen blauen Männern geschlossen hatte, die im
    Hügelland unterwegs waren und sich um die Schafe
    kümmerten, weil sie sie ebenfalls mochten. Tiffany
    blinzelte.
    In gewisser Weise ergab das einen Sinn. Im Gedenken
    an Oma Weh ließen die Menschen Tabak zurück. Und im
    Gedenken an Oma Weh kümmerten sich die Wir-sind-die-
    Größten um die Schafe. Es funktionierte alles, obwohl es keine Magie war. Aber es brachte Oma

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