Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
geschätzt wurden, aber nie als lehrhafte Verkündigung anerkannt wurden – hat der Ministeriale Konrad von Fussesbrunn (Feuersbrunn, nördlich der Donau auf halbem Weg zwischen Krems und Tulln) geschaffen. Das Heilige Paar kommt auf der Flucht nach Ägypten durch das niederösterreichische Weinviertel, und dabei geschehen kleinere und größere Wunder. Für uns ist diese Dichtung ungemein wertvoll, weil zahlreiche kulturgeschichtliche Details einfließen. Auf ihrem Hinweg kann der Gastgeber die Heilige Familie – die er zunächst ausrauben wollte – nicht in der Burg bewirten, weil sie dafür zu klein ist, sondern man richtet das Mahl im Obstgarten aus, der schon dafür vorbereitet ist. Der Jesus-Säugling wird gebadet und plantscht dabei. Der Schaum erweist sich als heilsam und macht die Kleinadelsfamilie wohlhabend, so dass auf dem Rückweg das Fest für die Gäste schon repräsentativer ausfallen kann.
Geschichtsdichtung und didaktische Literatur
Von der geistlichen Dichtung zur Weltgeschichte ist der Weg nicht weit, denn die meisten historischen Dichtungen beginnen mit der biblischen Geschichte. Die «Kaiserchronik» aus der Mittedes 12. Jahrhunderts setzt erst, dem Titel entsprechend, mit den römischen Kaisern ein. Hingegen geht die «Weltchronik» des Rudolf von Ems über den Tod des biblischen Salomon nicht hinaus. Dennoch sind über 100 Handschriften davon erhalten, darunter viele illustrierte.
Das früheste bekannte didaktische Werk stammt vom Friulaner Thomasin von Zerklaere: «Der welsche Gast» ist in den meisten Handschriften sorgsam illustriert, so dass man davon ausgehen kann, dass ein lesendes Publikum sowohl durch den Text als auch durch die Bilder – vielleicht mit Hilfe eines Meisters – belehrt werden sollte. In nur zehn Monaten hat Thomasin über den Winter 1215/16 die fast 15.000 Verse geschrieben und wollte damit nicht zuletzt die Reformgedanken des 4. Laterankonzils von 1215 unter Papst Innocenz III. unter die Leute bringen.
Um 1300 entstand das umfangreiche Werk Hugos von Trimberg († nach 1313), «Der Renner», das trotz seiner Länge von fast 25.000 Versen recht weite Verbreitung fand, ebenfalls vielfach illustriert wurde, aber wohl eher auf den Regalen der Lehrer zu suchen war als im Gebrauch der Schüler. Mit seinen Sittenlehren zu allen Lebenslagen beschäftigen sich heute nahezu nur noch kulturgeschichtlich interessierte Fachleute.
«Bauern»-Satiren
Zum Abschluss sei eine Gruppe von Dichtungen vorgestellt, die sich vordergründig mit der «Unkultur» der Bauern beschäftigt. In dieser Ecke begegnen wir dem «Popstar» der deutschen Dichtung: Neidhart, genannt «von Reuental», war ungemein erfolgreich. Er dichtete in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, zum Teil im Umfeld des letzten Babenberger Herzogs von Österreich, Friedrichs II., deftige Lieder von der Liebeskonkurrenz zwischen Bauern und Adeligen. Noch Jahrhunderte nach ihm wurden ähnliche Lieder in seinem Namen verfasst.
Abb. 11: Holzschnitt aus einem Neidhart-Schwank, Augsburg 1491/97 (z): Die Herzogin findet statt des versprochenen Veilchens einen Dunghaufen.
Die zahlreich erhaltenen Illustrationen zu Neidhart-Themen (vgl. S. 71f.) zeigen ebenfalls ihre Popularität. Es wurden Neidhart-Tänze veranstaltet und Neidhart-Schwänke aufgeführt. Im bekanntesten geht es darum, dass Neidhart das erste Veilchen im Frühling findet und es seiner Fürstin zeigen will, die Bauern aber, während er den Fund am Hof meldet, einen Dunghaufen an die Stelle des Veilchens platzieren. Mit den «Bauern» aber werden wohl Adelige vom Land karikiert, über die sich die Höflinge und Städter lustig machten.
Dasselbe gilt für die Bauern des Konstanzer Beamten der bischöflichen Justizbehörde, Heinrich Wittenwiler. Mit seiner Satire, genannt «Der Ring», hat er Konstanzer Bürger aufs Korn genommen. Einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich wurde das Werk wohl nie, und es ist zu vermuten, dass Heinrich die Arbeit mit Beginn des Konstanzer Konzils 1414 abgebrochen hat.
In zwei Versionen ist uns das berühmte und lesenswerte Buch von Wernher dem Gärtner, Helmbrecht, überliefert, das aus dem dritten Viertel des 13. Jahrhunderts stammt. Die eine Version hat wohl – den genannten Ortsnamen nach zu urteilen – ursprünglichAdelige aus dem oberösterreichischen Traungau amüsiert, die andere, deren Text in das genannte Ambraser Heldenbuch (S. 80) Eingang fand, den Hof des Herzogs von Niederbayern in Landshut. Der
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