Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
Nursia († um 550), wissen, stammt von Papst Gregor dem Großen († 604), der Benedikts Mönchsregel verbreitete. Dieser erzählt im zweiten Buch seiner «Dialoge», dass Benedikt eines Tages aus seinem Kloster Montecassino Mönche ausschickte, um ein neues Kloster zu gründen. Der Abt (von
abba,
Vater; Regel c. 2 und Röm 8, 15) versprach den Brüdern, ihnen zu zeigen, wo sie die einzelnen Gebäude errichten sollten. Benedikt erschien im Traum dem Leiter der neuen Gemeinschaft und gab ihm Anweisungen. Die Legende bedeutet zweierlei: Benedikt hat sich genau überlegt, wie ein Kloster angelegt sein sollte, aber er gibt nur die Idee vor, symbolisiert durch den Traum, über die Details muss der Abt mit seinen Brüdern selbst vor Ort entscheiden.
Benedikt schreibt ebenso genau vor, wann welche Psalmen gebetet werden sollten, schließt aber damit ab, man könne aus guten Gründen die Vorschriften ändern, wenn nur der Grundsatz eingehalten würde, dass jede Woche alle 150 Psalmen vorkommen. Genau darin liegt das Erfolgsgeheimnis der Existenz dieses Ordens seit 1½ Jahrtausenden: genaue Regeln, aber die volle Freiheit, sie jeweils den Gegebenheiten anzupassen.
Eine klösterliche Gemeinschaft braucht viel mehr als Kirche, Speise- und Schlafraum, wie Benedikt in seiner Regel im Kapitel 66 betont. Ein Kloster solle «so angelegt werden, dass sich alles Notwendige, nämlich Wasser, Mühle und Garten, innerhalb des Klosters befindet, und die verschiedenen Arten des Handwerks dort ausgeübt werden können.» Dann bräuchten die Mönche das Kloster nicht verlassen.
Das Leben und Beten in der Gemeinschaft ist, nach der Messfeier, das Wichtigste bei den Benediktinerinnen und Benediktinern. Die Karolinger machten Benedikts Regel zur Norm. Damals überlegten gelehrte Mönche im Kloster auf der Insel Reichenau, wie dieses Gemeinschaftsleben in der Praxis am besten funktionieren könnte. Sie zeichneten etwa in den Jahren 819 bis 826 einen Idealplan, der dann nach St. Gallen kam (Widmungsschrift, Abb. 19, Nr. 1) und als St. Galler Klosterplan berühmt wurde. Dieser Plan ergab sich aus einer lebendigen Diskussion, beeinflusst von der Reformgruppe am Kaiserhof. Obwohl nicht viele Leute das Original zu Gesicht bekamen, wurden die Anlagen mittelalterlicher Klöster im Wesentlichen für Jahrhunderte ihm entsprechend gestaltet, weil sie der Idee, die dahintersteht, folgten.
Im Zentrum der Anlage steht, wie im Zentrum des Denkens, das Gotteshaus, denn «dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden» (Regel Kap. 43, 3). An der Kirche sieht man, dass der Plan «geostet» ist. An die Kirche schließt, fast immer im Süden, ein quadratischer Hof an (Abb. 19, Nr. 21). Um ihn herum führt der Kreuzgang (Nr. 22). Um diesen sind die wichtigsten Räume der Gemeinschaft gruppiert: im Osten der Schlafraum (Dormitorium, Nr. 23 a),im Süden der Speiseraum (Refektorium, Nr. 24 a) und im Westen jene Räume, die mehr mit der Öffentlichkeit zu tun haben (Nr. 25, hier sind die Fässer im Keller eingezeichnet). An diese Räume schließt sich die Infrastruktur an, von der Küche über den Waschraum bis zur Latrine (Nr. 24 b, 23 b,c).
Abb. 19: St. Galler Klosterplan; Umzeichnung und Beschriftung Barbara Schedl. Abbildung und Details siehe http://www.stgallplan.org/de/
Nahe an der Kirche wird später meist ein Kapitelsaal gebaut, der auf dem St. Galler Plan noch nicht eingezeichnet ist. Dort finden wichtige Versammlungen der geistlichen Gemeinschaft statt, und die Mönche oder Nonnen werden hier beim Eintritt ins Kloster auf die Kapitel der Regel eingeschworen; daher der Name. In der Nähe, oft über dem Kapitelsaal – auf der Abbildung nördlich der Kirche –, war die Bibliothek, darunter die Schreibstube (Nr. 18); sie musste heizbar sein, denn mit klammen Fingern schreibt man schlecht.
In diesem Plan gibt es ein relativ großes Gebäude für den Abt mit eigener Küche (Nr. 10), denn er muss als Vertreter des Klosters nach außen auch besondere Gäste empfangen können, die nicht immer in die für Laien in der Regel abgeschlossene Klausur dürfen und vielleicht mit der normalen Klosterkost nicht zufrieden sind. Der St. Galler Plan sieht zudem ein eigenes Gästehaus vor (Nr. 12). Später wird oft der Westtrakt am Kreuzgang zur «Prälatur», den Amtsräumen des Prälaten (von lat.
praelatus,
der Vorgesetzte).
Ein abgeschlossener, gut heizbarer Bereich für die Kranken, mit einem Heilkräutergarten in der Nähe (Nr. 5–8), ist für
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