Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
dies zu meinem Gedächtnis.»
Theologen stellten sich die Frage, ob der Akt des Priesters eine reine Gedächtnishandlung sei oder ein Nachvollzug dessen, was Christus tat. Die Beschreibung einer Wesensverwandlung bei der Weihe von Brot und Wein («Transsubstantiation»), die 1215 auf dem 4. Laterankonzil festgeschrieben wurde, kommt von einem aristotelischen Substanzbegriff, der sich nicht auf die sinnlich wahrnehmbare Realität, sondern auf das (ungreifbare) Wesen einesDinges bezieht. Das war und blieb aber sehr vielen Menschen, die den philosophischen Hintergrund nicht kannten, kaum zugänglich. Auch Luther bekannte sich im Übrigen zu einer «Realpräsenz» Christi nach der Wandlung, aber er griff einen anderen Diskurs auf; das Stichwort dafür heißt «Konsubstantiation».
Abb. 25: Drogo-Sakramentar, Mitte 9. Jh., fol. 15v, BNF lat. 9482
Die
Elevatio,
das anschließende Hochheben der Hostie, wurde erst im 12. Jahrhundert üblich. Das Schweigen wird dann gebrochen, es folgt noch einmal ein Schuldbekenntnis. Die Gemeinde, die gekniet hat, steht auf, das «Vaterunser» wird gemeinsam gesprochen. Dann erfolgt der Friedensgruß, ursprünglich ein Kuss, der vom Priester über die Messdiener an die Gläubigen weitergegeben wurde. Die Oblate wird in drei Teile gebrochen, denn am Brechen des Brotes erkannte man den Herrn (Lc 24, 30f.).Nach der Anrufung «Lamm Gottes» beginnt die Kommunion.
Immer wieder wurde versucht, Laien zum häufigeren Kommunionempfang zu bewegen. Ab dem 4. Laterankonzil (1215) wurde vorgeschrieben, dass alle Gläubigen wenigstens zu Ostern in ihrer Heimatpfarre zur Kommunion zu gehen hatten. Das hat allerdings zur Voraussetzung, dass sie davor zur Beichte gehen und die Buße auf sich nehmen. In vielen Klöstern wurde wöchentlich kommuniziert.
Nach der Kommunion und einem kurzen Gebet werden die Gläubigen mit dem
Ite, missa est
entlassen; gemeint ist, «geht, es ist Entlassung» oder auch «Aussendung». Heute heißt es meist «Gehet hin in Frieden». Die Gemeinde antwortet mit dem
Deo gratias,
Dank sei Gott, das so manche, nachdem sie die ganze Zeit stehen mussten, als «Gott sei Dank» verstanden. Wegen dieser letzten Worte des Priesters heißt das Ganze «Messe».
Innerhalb der Messe sollte bestenfalls über die Lesungen und/oder das Evangelium gepredigt werden. Die großen Predigten, die uns überliefert sind, fanden bei besonderen Gelegenheiten oder überhaupt gesondert von der Messe statt und konnten recht lang werden. Oft wurden sie außerhalb der Kirche gehalten.
Jahreskreis
Für alle Menschen war der kirchliche Jahres-Festkreis wichtig, der auf vielfältige Weise mit dem Wandel der Jahreszeiten verbunden war. Das Kirchenjahr beginnt mit dem Advent. Andere Jahresanfänge waren Weihnachten, der erste Januar und Ostern. Auch Nachklänge des antiken Jahresbeginns am ersten März sind zu finden.
Der Advent ist eine Ruhe- und, streng genommen vom Tag nach dem Martinstag (11. November; S. 183f.) an, auch eine Fastenzeit. Nach den herbstlichen Erntefesten konnten die Menschen das Fasten schon vertragen – und die Vorräte würden eher für den Winterausreichen. In dieser Zeit war nicht nur der Fleischgenuss verboten – Näheres dazu bei der österlichen Fastenzeit (S. 180f.) –, sondern es durften auch bis Weihnachten keine größeren Feiern wie z.B. Hochzeiten, keine Gerichtssitzungen und keine Synoden (Kirchenversammlungen) mehr stattfinden. Niemand wird sie zu einer Zeit, in der die Wege aufgeweicht waren, vermisst haben.
Die Schweine wurden bis in den Spätherbst in den Buchen- und Eichenwäldern gemästet. Ein Teil davon und jenes Vieh, das man nicht über den Winter füttern wollte, wurden geschlachtet. Im optimalen Fall geschah das mit Beginn des Frostes, so dass man das frische Fleisch länger aufbewahren konnte. Der Großteil aber wurde geräuchert oder eingepökelt. Die Sonntage unterbrachen das adventliche Fasten, so dass mancher Braten willkommen war, auch Beute von der Jagd, die, soweit es das Wetter zuließ, weiterging.
Das Weihnachtsfest wurde in allen kleinen und großen Kirchen feierlich begangen. So mancher Bischof oder Abt wusste ein Lied davon zu singen – nicht nur in der Liturgie, sondern auch, weil er die ganze Entourage eines Herrschers oder anderer Großer zu versorgen hatte. Von Weihnachtsgeschenken ist allerdings im Mittelalter noch nicht die Rede.
In die Weihnachtsbräuche ließ sich mühelos auch die außerchristliche Symbolwelt zur
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