Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
wurden solche Reisen vom Deutschen Orden für seine «Kriegsgäste» regelrecht touristisch organisiert. Man wurde in Königsberg vom Hochmeister empfangen,Prominente wie der habsburgische Herzog Albrecht III. bekamen sogar ein ritterliches Festmahl. Dann brannte man ein Dorf nieder, brachte ein paar arme «Heiden» um und erhielt als Lohn den begehrten Ritterschlag.
Abenteuer
Man konnte, wie Oswald von Wolkenstein († 1455, vgl. S. 64f.), auch als einfacher Adeliger recht weit herumkommen:
Durch Barbarei, Arabia,
durch Hermani in Persia,
durch Tartari in Suria,
durch Romani in Türggia,
Ibernia,
der sprüng han ich vergessen.
Durch Reussen, Preussen,
Eiffenlant,
gen Litto, Liffen, übern strant,
gen Tennmarckh, Sweden, in
Prabant,
durch Flandern, Franckreich,
Engelant
und Schottenland,
hab ich lang nicht gemessen,
Durch Arragon, Kastilie,
Granaten und Afferen,
auss Portugal, Ispanie
bis gen dem vinstern steren,
von Profenz gen Marsilie.
Durch Berberland, Arabien
Armenien in Persien
die Tartarei (Krim) und Syrien,
durch Byzanz, ins Türkenreich, Irland
(ev. gemeint Iberia = Georgien),/die
Sprünge sind vorbei.
Durch Russland, Preußen, Estland,
nach Litauen, Livland über den
Strand/nach Schweden, Dänemark,
Brabant,
durch Flandern, Frankreich, England
und Schottland,
so hoch geht’s nicht mehr raus!
Durch Aragon, Kastilien,
Granada und Navarra (bask.
Nafarroa),/von Portugal, Spanien,
bis Kap Finisterre,
die Provence bis Marseille.
Oswald von Wolkenstein, Kl 44
Nachhaltige Auswirkungen hatten die Kreuzzüge auf die europäische Gesellschaft selbst. Einer der Hintergründe für die Bewegungwar ein Bevölkerungsüberschuss, besonders in der Oberschicht, der durch die verbesserten Lebensumstände nach der Jahrtausendwende entstanden war. Besonders in Westeuropa, wo kaum mehr Landreserven zur Verfügung standen, hatten viele zweite und weitere Söhne, die nicht erben konnten, keine standesgemäßen Aussichten. Ihnen kam der Aufruf gerade recht. So stabilisierten die Kreuzzüge die feudale Struktur der Gesellschaft und gaben einem Adel, der zunehmend seine gesellschaftliche Funktion zu verlieren drohte, neue Legitimation. Die meisten Zeugnisse der mittelalterlichen Adelskultur sind tatsächlich erst aus dieser Zeit erhalten.
Abb. 29: Oswald von Wolkenstein, Kl 44, in der von ihm selbst
besorgten Ausgabe von 1432, heute Innsbruck, Universitäts-
und Landesbibliothek, fol. 18v, mit Mensuralnotation
(brevis und semibrevis). Den vermutlichen Irrtum mit [H]ibernia
hat er offenbar selbst übersehen.
VI Kultur-Landschaften
E s ist noch gar nicht so lange her, da wäre dieses Kapitel bestenfalls am Anfang des Bandes unter dem Titel «naturräumliche Voraussetzungen» denkbar gewesen. Nun soll es zusammenfassend den äußeren Kreis der menschlichen Kultur beschreiben. Mit dessen innerstem, dem Körper, haben wir unsere Suche begonnen. Wieder geht es zuerst um die materielle Basis, aber unter einem besonderen Aspekt.
Die Umweltgeschichte, die in den letzten Jahren zu einer anerkannten Disziplin unter den historischen Wissenschaften geworden ist, beschäftigt sich mit der Wechselwirkung von Umwelt und Gesellschaft. Sie handelt also nicht nur – in Anlehnung an eine berühmte Formulierung von Arnold J. Toynbee – von Challenge, Herausforderung durch die Natur, sondern immer zugleich von Response, Antwort durch die menschliche Kultur.
Das gilt beispielsweise für das Wetter. Eine Klimageschichte aus den schriftlichen Quellen zu schöpfen, erwies sich als gar nicht so einfach: Die Chronisten schrieben nicht vom realen, messbaren Klima, so sehr sich Umwelthistoriker das wünschen würden. Sie schauten, um ein vereinfachendes Bild zu gebrauchen, wenn alles politisch schief lief, aus dem Fenster und stellten fest, das Wetter sei natürlich dementsprechend. Wenn die Lage in Wirtschaft und Gesellschaft gut war, wurde selbst eine kleine Eiszeit kaum wahrgenommen; man zog sich einfach wärmere Gewänder an.
Nicht einmal bei Himmelszeichen wie dem Halleyschen Kometen hatte man allzu große Schwierigkeiten, sie so zu interpretieren, wie man die Lage eben gerade empfand: Der Komet auf der Tapisserie von Bayeux deutet einerseits auf das Unglück König Haroldsin der Schlacht von Hastings 1066, aber für die siegreichen Normannen war er offenbar ein Glückszeichen. Für Giotto († 1337) war er ein Bild für den Stern von Bethlehem (S. 244), passte aber auch zu den schwierigen Zeiten, in denen er wieder erschien.
Landschaft und
Weitere Kostenlose Bücher