Kleine Luegen erhalten die Liebe
polizeiliche Verwarnung bestimmt nicht das waren, was ihre Freundin sich zur Feier ihres Geburtstages gewünscht hätte.
Außerdem fühlte Mia sich blockiert, vielleicht ihrer Schwangerschaft wegen. Sie konnte ihre Trauer nicht mit sich durchgehen lassen wie die anderen. Alles war zu viel – zu viele belastende Ereignisse in ihrem Leben. Obwohl alle anderen noch zu Melody und Norm weiterzogen, ging sie zu Eduardo heim (der damals noch mit ihr zusammen war und es vorzog abzuwarten, bis sie in der sechsunddreißigsten Woche war, um ihr zu sagen, dass diese ganze Sache mit dem Baby eigentlich gar nichts für ihn war …), legte sich ins Bett und starrte in die Dunkelheit.
Aber seitdem war ein ganzes Jahr vergangen, nicht? Ihrer aller Kummer war nicht mehr so frisch; es würde mehr wie eine Feier für Liv werden, eine Feier ihres Lebens! Eine Gelegenheit, sich an die guten Zeiten zu erinnern – so viele gute Zeiten –, und eine Chance, wieder einmal alle zusammenzukommen. Dann entdeckte sie in der hintersten Nische Melody und Norm, die sich offensichtlich schon mitten in einem Streit befanden, und die Zuversicht verließ Mia wieder.
Melody fuhr auf dramatische Art und Weise herum, als sie ihre Freundin sah. Mia dachte, falls sie selbst sich langsam in eine Gestalt aus Coronation Street verwandelte, war ihre Freundin Melody Burgess auf dem besten Wege, eine aus Ally McBeal zu werden. Ganz Powerfrau-Klamotten und Gerichtssaal-Drama.
»Es ist noch niemand hier«, sagte sie mit gedämpfter Stimme und warf in einer eingeübt wirkenden Geste, wie Mia fand, dasHaar zurück. »Zwanzig nach acht, und noch kein Pieps von irgendjemandem.«
»Na ja, ich bin ja da«, erinnerte Mia sie lächelnd.
»Richtig, du und … Billy«, bemerkte Melody leicht verdrossen und mit einem Blick auf den Kinderwagen, als hätte Mia eine Wahl in dieser Sache.
Mia biss die Zähne zusammen, um sich eine boshafte Bemerkung zu verkneifen.
Norm stöhnte. »Ich habe ihr geraten, etwas zur Entspannung zu nehmen. Ich sagte ihr, es geht hier schließlich um Olivia, schon vergessen ?« Er erdolchte seine Frau förmlich mit seinen Blicken, und Mia ertappte sich bei dem Gedanken – wie schon des Öfteren im letzten Jahr: Was ist passiert mit meinen Freunden? Mit dem lustigen alten Norm und mit Melody, die immer unzertrennlich gewesen waren und seit Jahren verbunden durch ihre Vorliebe für Cidre und das Singen grauenhafter Indie-Chorgesänge beim Karaoke?
Melody verschränkte eingeschnappt die Arme. »Nun, ich bin, ehrlich gesagt, sehr entrüstet. Ich meine, bei Anna überrascht es mich nicht, aber Fraser ? Liv war seine Freundin, oder habt ihr das bereits vergessen?«
»Natürlich nicht«, meinte Mia beschwichtigend, was jedoch überhaupt keine Wirkung zeigte.
»Warum zum Teufel ist er dann nicht hier? Kein Anruf, keine SMS, nada! «
♥
»Ähm … könnten Sie nicht ein bisschen schneller fahren?« Fraser saß im Fond eines schwarzen Taxis, das ihn von Preston nach Lancaster bringen sollte, und wippte mit den Beinen, wie er es immer tat, wenn er nervös war. Mal ehrlich, was warlos mit diesen Provinzlern? Sie hatten einfach kein Gespür für Dringlichkeit. Aber dann dachte er, dass das Livs Werk sein musste. Sicher wusste sie von seinem schlechten Gewissen und amüsierte sich darüber. Er stellte sie sich vor, wie sie ihn jetzt von oben sah, verschwitzt, verkatert und von Gewissensbissen geplagt, und wie sie dachte: Du Blödmann, Fraser Morgan! All diese Schuldgefühle wegen einer Nacht mit einer Barfrau? Tief im Innersten, so tief, dass er sich nicht dazu überwinden konnte, es zuzugeben, wusste Fraser natürlich, dass er diese Verspätung und den Stress allein sich selbst zuzuschreiben hatte. So wie auch die letzten vierundzwanzig Stunden ganz allein sein eigener Fehler waren.
Er hätte den Sechzehn-Uhr-Zug von Euston nehmen sollen, der ihn rechtzeitig nach Lancaster und zum Merchants gebracht hätte. Aber weil er viel zu nett war und viel zu verkatert, um sich zur Wehr zu setzen, hatte er sich von Karen in eine Tarot-Lesung verwickeln lassen, die sich viel zu lange hingezogen hatte. (Er wusste nicht, wie lange so etwas normalerweise dauerte, doch er war sich ziemlich sicher, dass anderthalb Stunden reichlich übertrieben waren.) Deshalb hatte er den Sechzehn-Uhr-Zug verpasst und musste den um siebzehn Uhr nehmen, und erst als er im Zug saß, merkte er, dass dieser nur bis Preston fuhr.
Und jetzt fühlte er sich erbärmlich, nachdem
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