Kleine Luegen erhalten die Liebe
brüllte Fraser an, Melody mischte sich ein, und Fraser schrie zurück. Dann stritt sich Mia mit Bruce, dem Wirt, der sagte, nach sieben Uhr abends könne sie kein Baby mehr in einen Pub mitbringen, woraufhin sie ihn anschrie: »GLAUBEN SIE, DAS TÄTE ICH, WENN ES NICHT SEIN MÜSSTE? Wenn es kein besonderer Anlass wäre? Erinnern Sie sich nicht an letztes Jahr?« Dann hätte sie am liebsten schnell alles zurückgenommen, als ein Ausdruck des Begreifens über Bruce’ Züge glitt und er sich an die Eskapaden des letzten Jahres erinnerte. Inmitten von alldem hatte Fraser einen Moment der Klarheit, und plötzlich war es ihm sehr unangenehm, so auszurasten, was leider immer häufiger als seltener vorkam. In Gedanken entschuldigte er sich bei Liv. Himmelherrgott , dachte er, reißt euch am Riemen, ihr alle!, und konnte spüren, wie es ihn kalt durchlief vor Scham.
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Es war Norm, dem schließlich der Geduldsfaden riss und der alle dazu brachte, den Mund zu halten. Auch den kleinen Billy.
»Jetzt hört aber mal zu, Leute …«, sagte er und knallte so hart sein Glas auf den Tisch, dass ein Großteil seines Bieres sein Hemd bespritzte. »Mist«, murmelte er und tupfte es mit einer Serviette ab. »Findet ihr nicht, dass das ganz schön erbärmlich ist, was ihr hier bringt?«
Dabei trat er nervös von einem Fuß auf den anderen und machte ein sehr unbehagliches Gesicht. Die Stimme der Autorität und Vernunft zu spielen entsprach eigentlich gar nicht seinem Naturell, aber die Umstände verlangten es.
»Was ich meine, ist, wenn Liv uns jetzt sehen könnte, wenn sie von dort auf uns herunterblicken würde – an ihrem neunundzwanzigsten Geburtstag, falls ihr das vergessen haben solltet –, wenn sie es sich also irgendwo dort oben bequem gemacht hätte und sich Countdown anschaute, bei einem ihrer speziellen Tia-Maria-Kaffees und einer Zwanzig-Pfund-Ziggi …« Leises Lachen und zustimmende Laute erwachten in der Gruppe. »Denkt ihr, dann wäre sie begeistert? Glaubt ihr etwa, dann würde sie sagen: ›Wow, seht euch meine Freundean, sind sie nicht die Besten?‹« Norm schaute uns nacheinander an. »Das kann ich mir irgendwie nicht vorstellen«, schloss er dann.
Fraser sah seinen Freund an, und ihm wurde ganz warm ums Herz vor Stolz. Norm muss mich ja für einen echten Blödmann halten, dachte er. Und leider bin ich das ja auch. Norm hatte ihm so eine verständnisvolle SMS geschrieben, sich alle Mühe gegeben, damit er sich besser fühlte, und trotzdem hatte er sich von seiner schlechtesten Seite gezeigt – war eine Stunde zu spät eingetrudelt, total verkatert, und hatte seine Schuldgefühle an jemand anderem ausgelassen. Manchmal hasste er sich wirklich selbst.
»Seht mal …«, meinte Norm nach einer Weile.
Alle scharrten mit den Füßen und saßen mit gesenktem Kopf da, als wären sie von ihrem Lehrer ausgescholten worden.
»Ich habe etwas gefunden.« Norm zog ein abgegriffenes DIN-A4-Blatt aus der Tasche. »Das ist eine Liste, die Liv geschrieben hat – Dinge, die ich tun will, bevor ich dreißig bin . Ich dachte, es wäre vielleicht ganz nett, sie später vorzulesen, herumzureichen oder was auch immer und auf Liv zu trinken. Aber da sich alle wie Idioten aufführen …«
Ein entschuldigendes Gemurmel erhob sich aus der Gruppe, und Fraser starrte das Blatt Papier in der Hand seines Freundes an.
Norm sah ihn an, und eine jähe Erkenntnis huschte über sein Gesicht. »Oh. Das war völlig harmlos, mein Freund. Ich habe es in der Tasche meines alten Parkas gefunden, den Liv sich irgendwann mal ausgeborgt haben muss.«
Fraser lächelte und winkte ab. Es kümmerte ihn nicht, woher Norm es hatte. Er hatte eine Liste. Eine Liste mit Livs Handschrift drauf. »Darf ich das haben?«, fragte er, und Norm reichte ihm das Blatt Papier.
KAPITEL DREI
Lancaster
Mia fütterte Billy mit einem Brei aus pürierter Banane und Mango, den der Kleine größtenteils jedoch wieder ausspuckte, weil Billy zu sehr damit beschäftigt war, Peppa Pig zu sehen, um sich auf das Schlucken zu konzentrieren. Sie blickte zu ihrem Freund auf dem Sofa hinüber, von dem nur ein zerzaustes braunes Haarbüschel aus ihrem orangefarbenen Schlafsack hervorschaute, und ein Anflug von Wehmut erfasste sie. Wann hatte sie zum letzten Mal jemanden auf ihrem Sofa übernachten lassen? (Außer Eduardo nach einem Streit?) Oder bis spät in die Nacht hinein mit jemandem geredet, der in einem Schlafsack lag? Gott, das musste Jahre her sein! Als sie noch
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