Kleine Luegen erhalten die Liebe
nicht leicht erscheinen mag, nur allzu kurz war. Und Sie werden sich wünschen, sie zurückholen zu können.« Mia lächelte und wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. »Sie haben aber auch einen hübschen Jungen! Einen sehr hübschen! Die Mädchen werden sich um ihn reißen, das können Sie mir glauben. Milly und ich waren sofort ein Herz und eine Seele, als Sie ihn hierherbrachten. Das war der schönste Tag, den ich seit Langem hatte. Wussten Sie das, Mary?«
Mia dachte an jenen Tag zurück, an diesen fürchterlichen Tag, an dem sie so verzweifelt gewesen war, dass sie Billy zu Mrs. Durham gebracht hatte. Als sie ihn abgeholt und ihn so zufrieden zwischen all den Kissen hatte sitzen sehen, war sie sich wie eine totale Versagerin vorgekommen: Sogar die alte Frau, die sie betreute, konnte sich besser um ihr Baby kümmern als sie selbst.
Mia wischte sich mit dem Taschentuch über die Augen.
»Aber es genügt nicht, oder?«, fragte Mrs. Durham mit einem weiteren prüfenden Blick auf sie. »Hm? Es ist nicht genug. Und Sie lieben diesen jungen Mann nicht, den Sie da haben. Na ja, nebenbei gesagt, kann ich Ihnen das auch nicht verübeln, denn allem Anschein nach ist er die reinste Platzverschwendung. In all der Zeit, die wir uns kennen, haben Sie kein einziges gutes Wort über ihn verloren.«
Mia schluckte. Stimmte das? Hatte sie wirklich kein gutes Haar an Eduardo gelassen?
»Aber trotzdem bleiben Sie bei ihm, nicht wahr? Und ich sehe bei Ihnen keine Anzeichen, dass Sie ihn gern heiraten würden. In Ihrem Alter war ich schon neun Jahre verheiratet. Wer vergeudet hier also seine Zeit, hm?« Sie sah Mia durch die Brille an, die ihre Augen so viel größer wirken ließen, als sie waren. »Wer ist der Miesepeter? Na, kommen Sie schon!«,meinte sie, als wäre das die ganze Zeit schon ihre Idee gewesen. »Lassen Sie uns in den Garten gehen!«
♥
Sie zogen sich warm an. Mrs. Durham bestand darauf, Mia eine ihrer Mützen zu leihen: ein gehäkeltes grünes Etwas, das an einen Teewärmer erinnerte, Mia aber gut gefiel. Wenig später verließen sie durch die Hintertür das Haus. Der Garten, der zu Mrs. Durhams Wohnung gehörte, war kaum mehr als ein quadratisches Stück Rasen mit Blumenbeeten an den Rändern und einem kleinen Schuppen am Ende und wurde alle vierzehn Tage von einem Gärtner in Ordnung gehalten. Sie setzten sich auf die Bank an der Küchenwand, wo die Sonne ihnen warm ins Gesicht schien und die leichte Brise Mrs. Durhams Hose zum Flattern brachte.
»Mrs. D.«, begann Mia und fragte sich plötzlich, warum sie ihr noch nie davon erzählt hatte. »Da ist etwas, was ich Ihnen sagen sollte. Etwas, das vielleicht erklärt, warum ich oft ein bisschen traurig wirke. Vor zwei Jahren ist meine beste Freundin Olivia gestorben.«
Mrs. Durham schaute sie an, und ihre großen blauen Augen füllten sich mit Tränen. »Aber warum haben Sie mir das denn nie erzählt, Liebes?«, fragte sie schließlich. »Ich dachte, wir beide wären Freundinnen.«
♥
Sie plauderten, bis die Sonne schon tief am Himmel stand und es kühl wurde, worauf Mrs. D. in die Küche ging und eine Flasche Brandy holte.
Mia erzählte ihr, wie sie und Liv sich im ersten Jahr im Studentenheim begegnet waren und sich ein Bad geteilt hatten, ein sehr kleines Bad mit Dusche und Toilette, das zwischen ihren ebenfalls winzigen Zimmern gelegen hatte. »›Klo- und Duschpartner‹ nannten wir uns damals«, sagte Mia, als sie einen kleinen Schwips vom Brandy hatte und unbefangener wurde.
»Klo- und Duschpartner? Na, so was!«, meinte Mrs. D. und biss sich auf die Lippen, um nicht laut zu lachen. Von ihrer Reaktion ermutigt, fuhr Mia fort, ihr ihre liebsten Erinnerungen zu erzählen: vom Camping an den Seen; den vielen Malen, bei denen sie Vorlesungen schwänzten, um im Water Witch am Kanal zu sitzen und Bier zu trinken, bis sie Unsinn redeten; von ihren Ausflügen zu den Badeorten im Nordwesten und lächerlichen Streitereien um nichts und wieder nichts.
Und während Mia redete und redete, wurde ihr bewusst, dass sie eigentlich noch nie mit jemandem über Liv gesprochen hatte, außer mit ihren besten Freunden natürlich, die Liv gekannt und geliebt hatten wie sie selbst. Seltsamerweise stand Mrs. Durham ihr heute näher als ihre eigene Mutter, erkannte sie.
Dann begann die alte Dame ebenfalls zu reden.
»Ich hatte auch eine beste Freundin«, sagte Mrs. D. »Eine beste Freundin wie Sie Ihre Liv, vom ersten Tag in der Mittelschule an, als wir elf
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