Kleine Luegen erhalten die Liebe
die ihm ein gewisser Trost gewesen waren. Aber das Entscheidende ist, dass das Paar, an dem alle anderen Paare (einschließlich Liv und Fraser) sich stets gemessen haben, nun doch nicht für immer zusammenbleiben wird. Und was sagt mir das?, fragt sich Fraser. Dass nichts für immer ist? Überhaupt nichts?
Mit den Ellbogen bahnt er sich einen Weg zur Tanzfläche und reckt den Hals, um Norm auf sich aufmerksam zu machen. Er muss hier der Vernünftige sein, der Besonnene, denkt er, und ist plötzlich ziemlich angetan von diesem Verantwortungsbewusstsein.
»NORM!«, schreit er über die Musik hinweg. »Normanton? Wollen wir nicht bald gehen? Ich friere mir hier noch was ab.«
Norm winkt mit seiner Flasche und zieht einen Flunsch – den völlig ichbezogenen Flunsch eines Mannes, der unter dem Einfluss irgendwelcher illegaler Substanzen steht. Fraser stöhnt innerlich. Wie es aussieht, wird er in den nächsten Stunden nirgendwohin gehen.
»Norm!«, schreit er wieder. »Lass uns woandershin gehen! Irgendwohin, wo wir ein Bier kriegen können …«
Norm zieht ein Gesicht wie ein Kind, das zum Abendessen hereingerufen wird, und hebt dann zweimal alle zehn Finger, was wohl »in zwanzig Minuten« bedeuten soll.
Fraser schüttelt den Kopf und grinst im Stillen. Auch das war so eine Sache mit der Trauerzeit: Niemand kann einem sagen, wann sie beginnen oder enden sollte. Man muss sie hinter sich bringen wie einen Arbeitstag.
Er geht zur Bar hinüber, von wo er mit einer Mischung aus Verlegenheit und Bewunderung beobachtet, wie ungeniert Norm die Rothaarige jetzt küsst. Fraser kann verstehen, dass er trinkt und sich selbst auslöschen will, aber dieses Aufreißen? Wie hatte er innerhalb weniger Wochen diesen nahtlosen Übergang vom verheirateten Mann zum Gigolo nur hingekriegt? Im Prinzip ist Fraser seit drei Monaten wieder Single (obwohl Karen noch hin und wieder vor seiner Tür auftaucht und er, auch wenn er nicht stolz darauf ist, ihren Brüsten nur schwer widerstehen kann), und er kann nicht einmal die Energie aufbringen, irgendjemanden aufzureißen. Mit Frauen anzubändeln erfordert so viel Mühe: all das Flirten, all der Small Talk. Er sieht sich um und stößt einen Seufzer aus. Niemand weckt sein Interesse. Es gab vielleicht mal eine Zeit, als die Frauen ihn anbaggerten, ihm sagten, er habe »schöne Augen, durchscheinend wie Opale«, doch heute passierte ihm das nicht mehr. Vielleicht wurde er ja bloß alt.
In dem Moment kommt Norm von der Tanzfläche herüber, die Rothaarige an der Hand. Er lacht und summt Jimmy Somervilles You Make Me Feel Mighty Real mit. Sie trägt Stöckelschuhe, einen megakurzen Rock und ein graues, bauchfreies Shirt im Retrolook, auf dem die Worte prangen: Fun, Fun, Fun … in the Sun . Ihre sehr großen, etwas zu eng zusammenstehenden Augen erinnern ihn an jemanden aus der Royal Family. Prinzessin Sowieso – wie hieß sie doch noch?
Norm, der ganz schön einen sitzen hat, legt einen Arm um seinen Freund.
»Fern, darf ich dir Fraser Morgan vorstellen? Ein wunder-wunderbarer Mann – mein bester« , sagt Norm durch halb geöffnete Lippen, um einen schottischen Detektiv aus einer Fernsehserie zu imitieren, der zu dem Akzente-Repertoire gehört, das er sich neuerdings für die Damen zugelegt hat. Fraser trinkt den Rest seines Smirnoffs und beginnt mit dem nächsten. »Und diese hinreißende junge Erscheinung, die du vor dir siehst«, sagt er zu Fraser, »ist Fern …« Er unterbricht sich und wendet sich ihr in gespieltem Erschrecken zu. »Oh Gott, ich kenne ja nicht mal deinen Nachnamen! Wie konnte ich nur so unhöflich sein, meine Liebe?«, meint er und lacht, als wäre es das Witzigste und Interessanteste, das er je gesagt hat.
»Unhöflich, oh ja! Ungehobelt«, gibt Fern ihm recht und schlägt ihm ihre Handtasche übers Hinterteil.
»Fern?«, wiederholt Fraser einfältig, um eine normale Unterhaltung zu beginnen. »Das ist aber ein ungewöhnlicher Name. Fern wie in Fearne Cotton?«
Auch Fraser erhält einen Schlag mit der Handtasche und beißt sich auf die Innenseite seiner Wange, um nicht zu lachen. Diese hinreißende Erscheinung vor ihm scheint auch ganz schön einen in der Krone zu haben.
»Ähm, nein.«
»Fern Britton?«
»Also das ist wirklich unhöflich. Diese Frau ist etwa fünfzig Jahre alt!«
»Fern …« Nein, ihm fällt absolut nichts Witziges dazu ein.
»Du kapierst es nicht«, sagt Norm, während er den Saum von Ferns Shirt ergreift und es zur Seite
Weitere Kostenlose Bücher