Kleine Luegen erhalten die Liebe
D. schlurfte auf die Küche zu. »Sie können Ihre Sachen nehmen und gehen, Mary.« Sie klang kälter, als Mia sie je erlebt hatte.
»Aber Mrs. Durham …« Mia versuchte, ihr in die Küche zu folgen, aber Mrs. D. fuhr herum und bückte sich, um Wise, die Katze, auf den Arm zu nehmen. Wise fauchte Mia drohend an.
»Ich sagte, Sie können jetzt gehen und mich in Ruhe lassen. Ich kann mich selbst um mein Essen kümmern und meine Wohnung in Ordnung halten. Es hängt mir zum Hals heraus, mir von anderen Leuten anhören zu müssen, was ich zu tun und zu lassen habe. Ich habe nicht einen Krieg überlebt, einen Ehemann verloren, mich drei größeren Operationen unterzogen und praktisch mein Leben lang allein gelebt, um mir nun von einem jungen Ding wie Ihnen, das nichts über das Leben weiß, sagen zu lassen, wie ich zu leben habe.«
Mia stand, sprachlos und wie vom Donner gerührt, in der Diele. Sie empfand eine Mischung aus Wut, Ungläubigkeit und, aus irgendeinem Grund, auch überwältigender Traurigkeit und spürte, wie heiße Tränen ihr in die Augen schossen.Sie hatte doch nur helfen wollen. War sie jetzt tatsächlich gefeuert?
Im Haus war alles still. Langsam nahm Mia ihren Mantel von einer Stuhllehne, hob ihre Tasche auf und ging in die Küche. Mrs. Durham saß jetzt am Küchentisch, ein ruhiges Lächeln im Gesicht, und streichelte Wise auf ihrem Schoß.
»Es tut mir leid, Mrs. Durham«, sagte Mia leise. »Ich wollte Sie nicht verärgern. Ich …« Zu ihrem Entsetzen brach sie in Tränen aus; sie stand in der altmodischen kleinen Küche und schluchzte wie ein Kind.
Mrs. Durham beobachtete sie schweigend. Das einzige Geräusch war das Schnurren der Katze auf ihren Knien, das Tropfen des Wasserhahns und das Geräusch von Schritten auf dem Gartenweg. Mia hatte plötzlich den Eindruck, sich in einer Parallelwelt zu befinden.
Mrs. Durham sah sie jetzt an und blinzelte. Mia merkte, dass sie vom Weinen Schluckauf bekommen hatte, was ihr schrecklich peinlich war. Trotzdem konnte sie nicht aufhören zu schluchzen. Verlegen schwenkte sie die Hände vor dem Gesicht.
»Es tut mir leid, entschuldigen Sie bitte …«
»Schon gut, Liebes, weinen Sie sich ruhig aus! Heulen Sie wie ein Hindu bei einem Begräbnis, wenn es sein muss. Hauen Sie rein!«
Und obwohl noch immer Tränen über ihre Wangen liefen, musste Mia laut auflachen; sie war nicht sicher, ob es wegen der ersten Worte der alten Dame oder dem »Hauen Sie rein!« war, das sie ihr selbst beigebracht hatte.
Als Mia aufblickte, lachte Mrs. Durham auch, ein verlegenes, etwas kindliches Lachen, als wollte sie sagen: Habe ich die Redewendung richtig eingesetzt?
Eine ganze Weile verharrten die beiden Frauen so und kicherten wie zwei Schulmädchen. Irgendwann wurde ihr Lachen zu einem lang gezogenen »Aahhhhhhhh …«.
Mrs. Durham stand auf, wühlte in einer Schublade und reichte Mia ein Taschentuch, das verdächtig nach Parmesan roch, doch sie wischte sich trotzdem die Tränen damit ab.
»Besser? Das brauchten Sie mal ganz dringend, nicht wahr, Liebes?«
Mia nickte und lächelte. Sie fühlte sich richtig bloßgestellt. Wie war es bloß zu diesem Gefühlsausbruch gekommen?
Mrs. Durham kam um den Küchentisch herum und umarmte Mia, was sie nur erneut zum Weinen brachte.
»Wissen Sie, ich mag ja meine besten Tage hinter mir haben, aber den Verstand habe ich noch nicht verloren«, sagte die alte Frau und klopfte ihr den Rücken. »Und ich kann sehen, dass ich nicht die Einzige bin, die in letzter Zeit ein bisschen deprimiert gewesen ist, nicht wahr?«
Mia versuchte verzweifelt, sich zusammenzunehmen. »Nein«, gestand sie mit zittriger Stimme, »da haben Sie wahrscheinlich recht.«
»Sie scheinen nicht allzu glücklich zu sein, meine Liebe, wenn ich mir die Feststellung erlauben darf«, bemerkte Mrs. D., nahm Mia an den Armen und sah sie prüfend an. »Sie schienen nie besonders glücklich zu sein, seit Sie hier zu arbeiten begonnen haben. Und dabei haben Sie Milly, ein entzückendes Baby, das Sie lieben können …«
Mia lächelte amüsiert. Der Irrtum mit dem Namen war eine Sache, der mit dem Geschlecht eine ganz andere.
»… und was einigen Leuten völlig genügen würde. Mir hat es gereicht, auch wenn ich gern mehr Kinder gehabt hätte, weil sie so furchtbar schnell erwachsen werden. Viel zu schnell, meine Liebe. Wenn Sie einmal in meinem Alter sind und auf Ihr Leben zurückblicken, werden Sie merken, dass diese Zeitmit Ihrem Baby, die Ihnen jetzt
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