Kleine Luegen erhalten die Liebe
nicht. Doch bei Eduardos mickrigem Gehalt von höchstens dreihundertfünfzig Pfund die Woche, von denen er ihr nur dreißig abgab, musste sie irgendwie Geld verdienen. Außerdem wollte sie nicht ewig arbeitslos sein. Früher hätte sie nicht einmal im Traum daran gedacht, dass sie je im Leben Arbeitslosengeld beziehen würde. Die Frage war nur, was konnte sie schon anderes tun? Welchen Job gab es hier draußen, der das Geld für die Kinderbetreuung wert wäre?
Im Moment machte ihr die Frage so zu schaffen, dass sie am liebsten auf einen Rutsch eine ganze Flasche Weißwein ausgetrunken hätte. Aber für eine kleine Weile musste sie das Thema Arbeit noch zurückstellen und durfte sich nicht damit belasten. Vielleicht würde sie Fraser anrufen, um zu hören, wie es mit Billy lief, doch sie hatte heute Nachmittag schon mehrmals mit Fraser telefoniert, und er hatte jedes Mal versichert, es gehe ihnen gut, und sie hätten sehr viel Spaß. Ihre Dienste schienen demnach schon nicht mehr gefragt zu sein. Nein, sie würde ausgehen und sich amüsieren. Schließlich war es ihr Geburtstag. »Eduardo?« Sie wandte sich zur Tür. »Wir sollten jetzt gehen, sonst kommen wir zu spät.«
♥
Auf der anderen Seite der Stadt, auf der Scotforth Road, saß Fraser mit seinem funkelnagelneuen Scrabble-Brett und einer Tüte von Marks & Spencer zwischen den Knien im Bus. Vor ein paar Minuten hatte er Billy bei Melody abgegeben. Fraser war zum ersten Mal wieder dort gewesen, seit sie und Norm sich getrennt hatten, und hatte versucht, sich vollkommen normal zu geben, obwohl alles schrecklich bizarr gewesen war. Im Haus war es so still gewesen, dass er das Gefühl gehabt hatte, als besuchte er jemanden, der gerade erst einen tragischen Verlust erlitten hatte.
Aber wenigstens hatten sie Billy gehabt, um sich abzulenken. Frasers Blick fiel auf sein eigenes Spiegelbild im Busfenster, und er war sehr überrascht, als er sich bei dem Gedanken an den Kleinen lächeln sah. Fraser hatte sich nie für jemanden gehalten, der gut mit Kindern umgehen konnte; sie machten ihn nervös und konnten sehr unberechenbar sein, ein bisschen so wie Pferde. Doch selbst er musste zugeben, dass Billy und er bestens miteinander ausgekommen waren. Und wenn man bedachte, dass gute achtundzwanzig Jahre zwischen ihnen lagen, war es mehr als erstaunlich, dass sie sogar über die gleichen Dinge lachen konnten, wie beispielsweise über die Leute, die auf den vereisten Straßen ausglitten.
Sie hatten einen fabelhaften Tag gehabt: Nach dem Mittagessen im Sunbury Café und dem Abschied von Mia (»Unten im Buggy findest du eine Anleitung mit einer Telefonnummer, falls du nicht weiterweißt«, hatte sie gesagt, und zu seiner großen Schande musste Fraser zugeben, dass er tatsächlich nachgesehen hatte) waren sie an dem zugefrorenen Kanal entlangspaziert. Fraser hatte Steine geworfen, und Billy hatte fasziniert verfolgt, wie sie Risse ins Eis schlugen.
Dann hatten sie sich eine Schneeballschlacht geliefert – Fraser mit einem unfairen Vorteil vielleicht, aber Billy schien die Treffer wie ein Mann zu nehmen und lachte sich jedes Mal kaputt, wenn Fraser einen Schneeball warf. Später, als es dunkel wurde, gingen sie ins Water Witch , wo Fraser ein Bier trank und Billy ein ganze Tüte Mini-Käsestangen verputzte.
Fraser hatte eine Menge Spaß gehabt und war überrascht, wie zufrieden er gewesen war, wenn Billy zur richtigen Zeit einschlief oder ihm aus keinem erkennbaren Grund ein breites Lächeln schenkte.
Der Bus fuhr die Scotforth Road hinunter und dann weiter durch die Innenstadt. Fraser hatte Lancaster noch nie so still und schön gesehen, und es weckte in ihm nostalgische Gedanken an Studentenwinter, in denen sie versucht hatten, ihr Haus warm und sich selbst mit reichlich Bier versorgt zu halten. Das Park Hotel , an dem sie vorbeikamen, erinnerte ihn an so manch einen verkaterten sonntäglichen Lunch vor dem Kamin, und während er noch den im Mondlicht glitzernden schneebedeckten Rasen davor bewunderte, legte der Bus sich quietschend zur Seite und fuhr um das Rondell herum. Und da war sie auch schon, die South Road Nummer fünf! Fraser versuchte, in das Haus hineinzuschauen – und sah sich und Mia, an einem sehr kleinen Tisch mit einer winzigen Portion Moussaka vor sich, im Hintergrund Phil Collins und vor ihnen noch alle Möglichkeiten dieser Welt …
Und heute waren sie Freunde, und das war gut so. Mia Woodhouse und Fraser Morgan waren einfach nur sehr gute
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