Kleine Luegen erhalten die Liebe
pflegte – »einfacher und praktischer« war. Aber Mia war nicht mit dem Herzen dabei. Sie wusste jetzt, dass sie sich nie in Eduardo verlieben würde, vielleicht auch, weil sie schon in jemand anderen verliebt war.
Und zu allem Übel war jetzt auch noch Weihnachtszeit. Sollte man da nicht mit den Menschen zusammen sein, die man liebte – oder zumindest mochte ? Mia schaute auf die Uhr. 21 Uhr 10 – es war noch früh. Sie hatte eine Idee, und bevor sie es sich ausreden konnte, kuschelte sie sich noch tiefer in ihre Jacke und machte sich auf den Weg.
KAPITEL EINUNDZWANZIG
Jean Harps Zuhause, ein hübscher kleiner Sozialbau am Ende einer Sackgasse am Stadtrand, war nicht schwer zu finden, da ein blinkender Weihnachtmann-Schlitten im Vordergarten stand, drei beleuchtete Schneemänner den Gartenweg flankierten und, falls man noch immer Mühe hatte, das Haus zu finden, ein riesiger aufblasbarer Weihnachtsmann »Hier drüben!« aus dem Schornstein schrie.
Geblendet von all den Lichtern, stand Mia einen Moment vor dem Haus, dann fegte sie den Schnee von Jean Harps Gartentor weg und zog den Riegel zurück.
Die Luft war eisig kalt, und es schneite so heftig, dass man kaum mehr als ein paar Meter weit sehen konnte. Mia zog ihre Jacke noch fester um sich und ging den Pfad hinauf. Schon vor einiger Zeit, als sie in der Stadt einen Bus verpasst hatte und die zwanzig Minuten bis zu ihrer Wohnung hatte laufen müssen, hatte sie die Erfahrung gemacht, dass die Bondage-Schuhe selbst mit dicken Strumpfhosen nicht das vernünftigste Schuhwerk für ein derartiges Winterwetter waren. Ihre Zehen waren durchnässt und fühlten sich schon wie Eiswürfel an.
Obwohl sie die Knie bei jedem Schritt hochzog und wie ein Flamingo ging, hinterließ sie tiefe Fußspuren im frischen Schnee.
Es war ein traditionelles, mit Kieselstein verputztes, quadratisches Haus mit einer roten Eingangstür und vier Fenstern, die einladend erleuchtet waren. Mias Magen verkrampfte sich vor Aufregung. War es vielleicht doch keine gute Idee, mitten in Frasers Scrabble-Abend zu platzen? Wenn er vielleichtgerade hochkonzentriert und in mönchsartigem Schweigen dasaß?
Mia beschattete die Augen gegen die blinkenden Weihnachtslichter im Haus und spähte durch eins der Fenster im Parterre. Das Glas war mit schablonierten Schneeflocken geschmückt, und als Mia die Nase an eine Lücke zwischen ihnen drückte, breitete sich ein frohes Lächeln auf ihren vor Kälte starren Zügen aus. Diese raffinierten Heimlichtuer! Hier fand kein biederer Scrabble-Abend, sondern eine regelrechte Weihnachtsparty statt!
In zwei Zimmern in Mrs. Harps Parterre, die durch einen großen, mit Papierschlangen geschmückten Bogen zu einem großen Raum verbunden worden waren, waren sämtliche Möbelstücke an eine Wand geschoben worden, und zwei runde Tische waren in der Mitte aufgebaut worden, an denen jeweils vier über ihr Brett gebeugte Scrabble-Spieler saßen.
Alle trugen Party-Hüte, auf beiden Tischen brannten Kerzen. Festliche Getränke schimmerten in Kristallgläsern, und es war Musik zu hören, gedämpft nur, aber doch gewiss nicht … Mia hielt eine Hand hinter ihr Ohr und trat noch näher, um sich zu vergewissern, dass … oh ja, in der Tat, eine Gruppe Rentnerinnen zu einem Stück von Beyoncé mit den Köpfen nickten und den Füßen wippten!
»If you liked it, then you shoulda put a ring on it … If you liked it, then you shoulda put a ring on it. Uh-uh-oh …«
Dann entdeckte Mia eine Frau – könnte dies die legendäre Jean Harp sein? Mit einer grauen Igelfrisur und riesigen Ohrhängern tänzelte sie, ein Tablett mit Drinks in der Hand, zwischen den Tischen hindurch.
Mia hörte das Lachen dieser fröhlich feiernden Gesellschaft und musste sich abwenden, damit sie selbst ein bisschen lachen konnte.
Als sie sich wieder umdrehte, suchte sie den Raum nach Fraser ab, aber ein mächtiger Christbaum stand in einer Ecke, und durch den Schnee und das Kaleidoskop bunter Lichter konnte sie nur ein Meer von silberhaarigen, mit Partyhüten bedeckten Köpfen sehen. Sie schützte ihre Augen mit den Händen, und dort, unter dem Weihnachtsbaum, saß Mrs. Durham. Ach du meine Güte!, dachte Mia. Das sehe sich mal einer an!
Mrs. D. trug eine schief sitzende Weihnachtsmann-Mütze und etwas, das wie Elfen-Pantoffeln aussah, an den Füßen. Als Mia genauer hinsah, stellte sie fest, dass alle Elfenpantoffeln trugen. Abgesehen von einem Scrabble-Wettbewerb, war dies hier offenbar
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