Kleine Luegen erhalten die Liebe
»Kommt nicht infrage. Auf keinen Fall. Ich bin auf Entzug, schließlich ist es Januar.«
Mia verdrehte die Augen und kippte zuerst ihren Drink und dann Annas hinunter, wobei sie sich alle Mühe geben musste, nicht zusammenzuzucken.
»Zufrieden?«, fragte sie, und Anna und Melody wechselten einen ungläubigen Blick. »Alles geklärt. Das war leicht.«
Benimm dich!, sagte sie sich und setzte sich. Benimm dich einfach, Mia, und werde erwachsen! Das Problem war nur, dass sie beim besten Willen nicht aufhören konnte, an Fraser und Emilia zu denken. Wo waren sie jetzt? Amüsierten sie sich? Küssten sie sich? Wann immer sie an sie dachte, konnte sie nur Emilia sehen, wie sie Fraser mit ihren betörenden grünen Augen anschaute. Und es brauchte nicht viel, um Fraser zu betören. Machen wir uns doch nichts vor!, dachte Mia. Wenn es einer pummeligen, von Delfinen besessenen Barfrau in den Vierzigern gelungen war, würde es für eine über ein Meter achtzig große, superattraktive Brasilianerin erst recht kein Problem sein!
Und sie selbst hatte das Ganze gewissermaßen eingefädelt. War sie eigentlich verrückt? Plötzlich bereute sie bitter, die beiden auch nur miteinander bekannt gemacht und Fraser je zu diesem unseligen Picknick eingeladen zu haben, bei dem Emilia halb nackt im Park herumgesprungen war.
♥
»Was hat Fraser denn heute Abend angezogen?«, fragte sie Melody betont beiläufig und nippte an ihrem Wein. Sie waren vorher chinesisch essen gewesen, was ein ziemlich deprimierender Beginn des Abends gewesen war. Im Grunde hatte keine von ihnen sich das leisten können, aber Anna hatte darauf bestanden, weil sie noch ihre Aufgabe, Essstäbchen zu benutzen, zu erfüllen hatte. Jemand hatte dort seinen Geburtstag gefeiert, was Mia richtig traurig gemacht hatte, weil die Gäste sich alle gleich nach dem Geburtstagsständchen verzogen hatten – schon vor neun Uhr abends. Mia schwor sich, niemals im April schwanger zu werden.
Bislang war es ihr sehr gut gelungen, keine Fragen zu Fraser und Emilia zu stellen, jetzt jedoch hielt sie es einfach nicht mehr aus.
»Oh, es war zum Schreien«, sagte Melody. »Frase war im Gästezimmer und machte sich fertig, und ich platzte bei ihm herein, als er splitterfasernackt …«
Anna verzog das Gesicht. »Wie schön für dich!«
»Er stand vor dem Spiegel und betrachtete sich, der kleine Angeber. Es muss so gewesen sein, weil er direkt davorstand!«
Betrachtete sich nackt im Spiegel? Warum hielt er es für nötig, sich nackt im Spiegel zu betrachten?
Anna und Melody lachten. Mia auch, nur war es bei ihr kein echtes Lachen.
»Ja, und was hat er denn nun am Ende angezogen?«, versuchte sie es erneut. Beide Freundinnen schauten sie irritiert an, was sie plötzlich sehr verunsicherte. »Ich meine, als er endlich aufhörte, nackt herumzuspazieren?«
Melody runzelte die Stirn und wirkte leicht verwirrt. Mia rutschte nervös auf ihrem Stuhl herum.
»Hm. Er trug dieses olivgrüne Hemd und einen schönenMantel, den er zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte«, sagte sie schließlich. »Er sah sehr attraktiv aus, wenn ich ehrlich sein soll. Wenn ich ihn nicht besser kennen würde, hätte er sogar mir gefallen können.«
Das ist Folter, dachte Mia, die reinste Folter. Das olivgrüne Hemd. Warum das olivgrüne Hemd?! Er sah darin umwerfend aus!
»Wo wollten sie denn hin? Wisst ihr das?«, fragte sie. Der Alkohol hatte ihr die Hemmungen genommen, und die Fragen sprudelten nur so aus ihr heraus.
»Ins Borough , glaube ich.« Melody zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn weiß Gott nicht danach ausgefragt, Mia. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, mich vom unverhofften Anblick seines nackten Hinterteils zu erholen.«
Melody und Anna lachten und tranken weiter. Mia konnte die beiden reden hören, war jedoch nicht in der Lage, etwas zu der Unterhaltung beizutragen. Ständig schossen ihr Bilder durch den Kopf, und sie fragte sich, was Fraser wohl gerade trieb. In den letzten Monaten waren ihre Gefühle für ihn drängender und viel schwerer zu verbergen geworden. Im Grunde wollte sie sie auch gar nicht mehr verbergen. Gestern war sie bei Mrs. Durham gewesen, und als die alte Dame den Tee einschenkte, hatte sie wie beiläufig gefragt:
»Wie lange bist du denn nun schon in Fraser verliebt? Ich muss sagen, dass er mir viel besser gefällt als dieser schreckliche Kerl, den du vorher hattest.«
Mia hatte so viele Monate mit ihren Gefühlen gekämpft, ja sogar versucht, sie
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