Kleine Luegen erhalten die Liebe
meinte er. »Ich sitze hier nicht umsonst herum, verstehen Sie?«
Mia stieg aus dem Taxi und lief auf das Tor zu. Es war natürlich verschlossen – immerhin war es schon neun Uhr abends –, aber das konnte sie nicht aufhalten. Sie warf ihre Tasche hinüber, zog ihren Rock hoch und kletterte das Tor hinauf. Hoffentlich endet mein kleiner Ausflug nicht im Krankenhaus!, dachte sie, schwang die Beine auf die andere Seite und sprang.
Sie landete unglücklich auf ihrem Knöchel. »Mist, verdammter!«, ächzte sie. Doch dann rappelte sie sich auf und eilte, halb hinkend, halb laufend, durch die kühle, dunkle Stille, in der das einzige Geräusch der Wind in den Bäumen war.
Als sie, nach Atem ringend, Livs Bank erreichte, verlor sie keine Zeit.
»Ich bin’s, Liv!«, sagte sie. Von hier oben auf dem Hügel hatte man einen guten Blick auf Ashton Memorial, das ein perlmuttfarbenes Leuchten auf den Rasen vor dem Gebäude warf.
Der Park war um diese Zeit menschenleer.
»Hör zu, ich werde dir jetzt etwas gestehen, und ich bin alles andere als nüchtern, aber wie wir immer zu sagen pflegten, ist Alkohohl keine Entschuldigung. Außerdem kennst du ja sowieso all meine Geheimnisse.«
Sie hatte plötzlich ein Bild von sich selbst vor Augen, wie sie in ihrer Kunstpelzjacke mutterseelenallein in einem Park stand und mit schon etwas schwerer Zunge laut zu einer Toten sprach.
»Liv, ich liebe Fraser!« Sie hielt inne, dann schrie sie es noch einmal laut in die Nacht hinaus: »ICH LIEBE FRASER! Und es scheint nichts zu geben, was ich dagegen tun kann. Ich wollte mich nicht in deinen Freund verlieben, ehrlich nicht, das musst du mir glauben. Aber jetzt ist es passiert, und was ich mir auf dieser Welt am meisten wünschen würde, Liv, ist dein Segen. Gib mir ein Zeichen, Liv! Deine Erlaubnis, dass ich es darf! Ich verspreche dir, dass ich mich sehr gut um ihn kümmern werde. Ich werde ihn lieben und ihn ehren, das gelobe ich; ich werde dich nicht enttäuschen, Liv.«
Dann wartete sie, doch nichts geschah.
»Liv?«, fragte Mia wieder. »Was sagst du dazu?«
Was erwartete sie? Dass etwas aus dem Himmel fiel? Dass eine Eule an ihr vorbeiflog? Ein Blitz herniederging?
Mia wartete und wartete, aber alles blieb still.
Schließlich setzte sie sich auf die Bank und lächelte. Du Schwachkopf, Mia!
Sie wusste, was Liv sagen würde. Und was sie tun würde.
Mia wartete noch ein paar Minuten, um sich zu sammeln. Dann stand sie auf, nahm ihre Tasche und lief zum Tor. Schnell kletterte sie hinüber und ging zurück zum Taxi. Unterwegs bemerkte sie, dass sie sich die Jacke aufgerissen hatte.
»Zum Borough , bitte«, rief sie durch die Trennwand. »Und können Sie auch dort einen Moment warten?«
Kaum hielten sie vor dem Pub, sprang sie aus dem Taxi, stürmte ins Borough und ging schnurstracks auf die Bar zu.
»Haben Sie hier einen großen, braunhaarigen Mann mit einer umwerfend schönen Frau gesehen?«, fragte sie den Barkeeper.
Sein Gesicht hellte sich auf. »Oh ja, das war eine Klassefrau! Ein echter Glückspilz, dieser Bursche. Sie sieht aus wie dieses Model Giselle.«
Mia schloss für einen Moment die Augen.
»Aber die sind schon lange weg«, setzte der Barkeeper hinzu. »Kein Wunder – der Mann sah aus, als hätte er eine tolle Nacht vor sich.«
Mia schlug die Hände vors Gesicht. »Okay, vielen Dank. Danke für die Auskunft.«
Vor dem Pub stieg sie wieder ins Taxi. So ein Mist! Bestimmt waren sie zu Melodys Haus gefahren. Kurz kam Mia der Gedanke: Du bist betrunken, also fahr lieber heim und werde nüchtern … Aber sie hatte es satt, vernünftig zu sein und sich wie eine Erwachsene zu verhalten. Dies war ihr Fear-and-Loathing -Moment. Sie nahm ihr Leben in die Hand, weil niemand sonst es für sie tun konnte.
Das Taxi bog in Melodys stille Sackgasse ein und hielt vor ihrem prachtvollen Haus, und diesmal bezahlte Mia den Fahrer und sagte ihm, er könne fahren.
Dann hämmerte sie an die Tür. »Fraser! Ich bin’s, Mia. Ich weiß, dass du da drinnen bist! Also lass mich rein!«
Als keine Antwort kam, hob sie einfach den Briefkastendeckel hoch und brüllte ins Haus hinein: »FRASER! Ich bin’s, Mia! Hör zu, du darfst das nicht durchziehen, du darfst nicht mit Emilia schlafen! Ich habe nachgedacht …« Ihre Knie schmerzten vom Bücken, sodass sie sich wieder aufrichten musste. »Du musst diesen Punkt der Liste nicht erfüllen. Ich bin die blöde Liste leid! Ich bin alle leid, die mir sagen wollen, wen ich lieben darf
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